© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Der Applaus verdeckt den Streit
Bundesparteitag: Die CDU läßt sich in Karlsruhe von Parteichefin Angela Merkel einlullen
Hinrich Rohbohm

Wer noch Hoffnung gehabt  haben sollte, daß in der CDU noch so etwas wie ein  konservativer Flügel existiert, so wurden diese Anfang der Woche auf dem Bundesparteitag in Karlsruhe endgültig zu Grabe getragen. Kein Wort der Kritik am Linkskurs der Union ist von den rund 1.000 Delegierten in der Messehalle zu hören. Statt dessen rhythmischer Beifall für die Parteivorsitzende, die mit einer gezielt die Seelen der Stammwähler ansprechenden Rede alle einlullt.

Ganz neue Töne sind von ihr zu vernehmen: Merkel warnt vor einer linken Republik, nennt Jamaika- und schwarz-grüne Koalitionen „Hirngespinste“. Die Kanzlerin spricht plötzlich von der „Kraft der Freiheit“. Sie greift die Grünen an: Es reiche nicht, immer nur dagegen zu sein. Merkel redet gegen die Einheitsschule, betont das „C“ im Namen der Union, bezeichnet die „ethischen Grundlagen des Christentums“ als „Leitlinien unserer Politik“.

Und dann kommen Sätze, die symptomatisch für die Strategie Merkels sind, die Unionsbasis zunächst mit Worten des Verständnisses einzulullen, um letztlich doch genau das Gegenteil in die Tat umzusetzen. „Ich kenne die Anträge der Mittelstandsvereinigung und anderer Vereinigungen für diesen Parteitag, die gerade hierzu gestellt werden. Ich kenne auch manche Klage darüber, daß die Antragskommission empfiehlt, viele dieser Anträge nicht anzunehmen oder zu überweisen. Warum sollte ich das verschweigen?“ Aber es müsse die richtige Reihenfolge eingehalten werden: „Erst die Haushalte konsolidieren und die Steuer vereinfachen, dann die Steuern senken“, sagt Merkel.

Worte. Die Taten sehen anders aus. Die Finanzen werden nicht konsolidiert, die Verschuldung geht weiter. Das Steuersystem wird nicht einfacher, es wird komplexer. Die Steuern werden erhöht. Es gibt nicht mehr Netto vom Brutto, sondern weniger. Jeder weiß das. Die Bürger. Die Journalisten. Sie wissen auch, daß Schwarz-Grün oder Jamaika keine „Hirngespinste“ sind, sondern in Hamburg und im Saarland auf Landesebene längst Realität.

Sie wissen, daß Merkel im vorigen Jahr alles andere als christliche Politik betrieben und zudem den Papst verbal angegriffen hatte. Sie wissen auch, daß es Merkel war, die sich auf das Buch von Thilo Sarrazin stürzte und es aburteilte, ohne es gelesen zu haben, während sie später in Gesprächen mit der Basis davon sprach, daß Multikulti tot sei.

Nur die Delegierten wollen es nicht wissen. Nicht jetzt, wo die Wahlen zum Bundesvorstand anstehen. Stattdessen jener rhythmische Beifall für eine Rede, deren einziges Ziel es war, Bedenken der Basis zu zerstreuen.

Und die Delegierten lassen sich zerstreuen. Viele von ihnen strömen während der Aussprache ins Foyer, hin zu den Ständen der Großkonzerne, die den CDU-Funktionären die Tagung mit Brot und Spielen versüßen. Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann spricht vor dem jetzt halbleeren Plenum. Normalerweise ein Hauptkritiker der Kanzlerin, sagt er nun, die Rede der Parteichefin habe ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Schließlich dankt er der Kanzlerin. Eine verbale Schleimspur, die sich vom Podium hinunter quer durch die gelichteten Reihen zieht, während zahlreiche CDU-Funktionäre draußen im Foyer sich an Flipper-Automaten und Cocktail-Ständen amüsieren und die Politik Politik sein lassen. Auch von Mike Mohring ist in der Aussprache nichts zu sehen. Noch wenige Wochen zuvor forderte der Thüringer CDU-Fraktionschef mehr konservatives Profil für die Union. Jetzt geht er auf Tauchstation, will seine Wahl in den Bundesvorstand nicht gefährden. Auch bei der Aussetzung der Wehrpflicht regt sich kaum Protest. Mit großer Mehrheit wird der von der CDU-Führung beantragten faktischen Abschaffung der Wehrpflicht zugestimmt. Daß derlei Unterwürfigkeit keine Erfolgsgarantie ist, bekommt die Mittelstandsvereinigung (MIT) zu spüren. Bei den Beisitzer-Wahlen fällt ihr Kandidat Frank Gotthardt durch, Mohring kommt bei mäßigen 60 Prozent mit einem blauen Auge davon.

Mit der Neuwahl des Vorstands ist die CDU ein weiteres Mal weiter nach links gerutscht. Merkel erhält trotz ihrer abgetauchten Kritiker mit 90,4 Prozent ihr zweitschlechtestes Ergebnis als Parteivorsitzende, und wenn die Enthaltungen dazugerechnet werden, die bei der Union traditionell unter den Tisch fallen, erreichte sie sogar nur 88,7 Prozent. Mit Roland Koch hat zudem ein letzter halbwegs Konservativer die Führungsebene der Union verlassen. Stattdessen erhielt der linksliberale Norbert Röttgen das beste Ergebnis aller vier Stellvertreter, gefolgt von Ursula von der Leyern und Volker Bouffier.  Der Linksschwenk der Union zeigt sich auch bei den Beisitzer-Wahlen. Neben Gotthardt ließen die Delegierten auch den Ex-DDR-Häftling Dieter Dombrowski durchfallen.

Foto: CDU-Delegierte applaudieren ihrer Vorsitzenden: Ansturm auf die Flipper-Automaten

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