© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Politisches Wunschdenken
Währungsunion: In der Evangelischen Akademie Tutzing wurde die Frage „Sprengt oder einigt der Euro Europa?“ diskutiert
Jörg Fischer

Irlandhilfe treibt Keil in Europa“ – so lauteten zu Wochenbeginn die Schlagzeilen in der Wirtschaftspresse. Hintergrund ist der Widerstand von kleinen EU-Staaten wie Finnland gegen eine Aktivierung des milliardenschweren Euro-Rettungsfonds (European Financial Stability Facility/EFSF) für Irland (siehe Seite 2). Deutsche und britische Banken hingegen haben ein großes Interesse daran, den Hilfsfonds für Irland zu aktivieren: sie halten gegenüber irischen Schuldnern 138 Milliarden Dollar bzw. 150 Milliarden Dollar an Forderungen. Allein die notverstaatlichte HRE soll dem irischen Staat 10,3 Milliarden Euro geliehen haben.

Auch in der Evangelischen Akademie Tutzing wurde vorige Woche die Frage „Sprengt oder einigt der Euro Europa?“ diskutiert – doch die Mehrzahl der Referenten hat die Sprengkraft des Euro offenkundig noch nicht erkannt. Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP), dessen Verdienste um die deutsche Einheit wohl unbestritten sind, ließ in seinem Eröffnungsreferat über die historischen Umstände und Ziele der europäischen Einigung keine Zweifel daran erkennen, daß die Europäische Währungsunion (EWU) zwar eine vorrangig politische, aber dennoch richtige Entscheidung war. Genscher widersprach zugleich vehement der Ansicht, die Euro-Einführung sei der Preis Frankreichs für die Wiedervereinigung Deutschlands gewesen.

Bereits 1987 habe er die Gründung einer Europäischen Zentralbank (EZB) vorgeschlagen, schon ab 1988 seien die Details durch die Delors-Kommission ausgehandelt worden. Auch Ex-Finanzminister Hans Eichel (SPD), Moderator der Tagung und Leiter des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie, verteidigte die EWU mit den unterschiedlichsten politischen Argumenten – eine EU ohne Euro ist für ihn wie für den SPD-Europaparlamentarier Martin Schulz oder Staatsminister Werner Hoyer (FDP) undenkbar.

Das ökonomische Loblied lieferte erwartungsgemäß EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, der die Euro-Krise der von den USA ausgegangenen Weltfinanzkrise und der fehlenden Koordination der Wirtschafts- und Haushaltspolitik in den Euro-Ländern anlastete.

Die kritischen Töne blieben den vier Wirtschaftsprofessoren (Sebastian Dullien, Gerhard Illing, Rudolf Hickel und Wilhelm Hankel) vorbehalten, die die Schattenseiten der EWU beleuchteten. Einig war man sich darüber, daß die Euro-Krise noch längst nicht vorbei ist. Konsens war auch, daß der im Maastricht-Vertrag verankerte Fokus allein auf die Staatsfinanzen nicht ausreiche, um die Probleme zu verstehen und zu lösen. Dullien, Illing und Hickel plädierten – trotz aller Schwierigkeiten und der absehbar hohen Kosten – dennoch für ein Festhalten am Euro. Hankel forderte hingegen eine Reduzierung der Euro-Zone auf „Hartwährungsländer“ wie Deutschland, Österreich, die Niederlande und andere – oder alternativ die vollständige Rückkehr zu nationalen Währungen. Der Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler (CSU) zeigte sich als einziger der anwesenden Politiker offen für eine solche Lösung: Das Motto der USA, E Pluribus Unum (aus vielen Eines), passe nicht zu Europa. Europa sei für ihn „versöhnte Veschiedenheit“ (Johannes Paul II.) und das „Vaterland der Vaterländer“ (De Gaulle).

Daß der Euro-Rettungsfonds keinesfalls nur bis 2013 angelegt ist, bestätigte EFSF-Chef Klaus Regling in seinem Vortrag. Werden vom EFSF Anleihen ausgegeben, dann endet seine Arbeit erst, wenn alle Emissionen getilgt sind.

Eine zweistündige Zusammenfassung der Euro-Tagung in Tutzing zeigt der Fernsehsender „BR alpha“ am 4. Dezember um 22.30 Uhr.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen