© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Die Konkurrenz schläft nicht
Rüstungsbranche: Mit der Guttenberg-Reform droht der wehrtechnischen Industrie Deutschlands ein weiterer Substanzverlust
Hans Brandlberger

Ende Januar wird Verteidigungsminister zu Guttenberg das Geheimnis lüften und erklären, wie er sich die Bundeswehr der Zukunft nun wirklich im Detail vorstellt. Einen Hinweis darauf, daß die anstehenden Veränderungen gravierend sein dürften, hat der Abschlußbericht der Weise-Kommission gegeben. Wie groß die Bundeswehr sein darf und über welche Fähigkeiten sie noch verfügen kann, hängt von den Finanzmitteln ab, die ihr zur Verfügung stehen. Der Bundestag wird somit ein entscheidendes Wort mitzusprechen haben.

Wenn die Eckpunkte der Reform feststehen, wird nicht nur die Verunsicherung, die sich in der Bundeswehr breitgemacht hat, schwinden. Auch die Beziehungen zwischen dem Verteidigungsministerium und der Rüstungsindustrie können auf eine neue Grundlage gestellt werden. Dazu ist es aus Sicht der Wirtschaft auch allerhöchste Zeit.

In den vergangenen Monaten war von dem einst so sorgsam gepflegten „partnerschaftlichen Dialog“ mit dem Kunden Bundeswehr nämlich nicht mehr viel zu spüren. Stattdessen wurde die wehrtechnische Branche einer beispiellosen Schelte unterzogen: Sie sprenge den vereinbarten Zeit- und Kostenrahmen, und überdies entspreche das, was sie dann am Ende liefere, nicht den Forderungen des Auftraggebers, hat etwa Generalinspekteur Volker Wieker mehrmals verkündet. Allerdings räumte die Bundeswehr auch ein, daß abseits der in den Medien zu Skandalen erklärten Großvorhaben – wie etwa des Transportflugzeuges A400M, der Korvette K130 oder des Transporthubschraubers NH90 – zahlreiche Projekte eben doch vertragskonform abgewickelt werden.

Anzuführen sind hier das weltraumgestützte Aufklärungssystem SAR-Lupe (Orbitale Hochtechnologie Bremen-System AG), das Führungs- und Funktionsfahrzeug Eagle IV (General Dynamics European Land Systems-Germany, Kaiserslautern), oder das Dekontaminationssystem TEP 90 (Kärcher/Iveco; Winnenden) – nicht selten sind dabei mittelständische, aber auch ausländische Firmen die Auftraggeber.

Überdies ist der Bundeswehr bewußt, daß die Probleme in manchen Rüstungsprojekten auch ihren eigenen umständlichen Vorgaben und zeitraubenden Prozessen geschuldet sind. Hier für Besserung zu sorgen, ist ein zentrales Ziel ihrer Reform.

Auch wenn die „neue Bundeswehr“ noch nicht einmal ansatzweise „ausgeplant“ ist, lassen sich die zukünftigen Rahmenbedingungen für die wehrtechnische Industrie erkennen. Die öffentlichen Finanzen bleiben unter Druck, die im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“ erzwingt Abstriche bei den Staatsausgaben. Auch der Verteidigungsetat wird hier mittelfristig einen Beitrag zur Konsolidierung leisten müssen.

Die Kostensenkung, die von einer Reduzierung des Personalumfangs erwartet werden darf, ist überschaubar. Berufsarmeen sind, wie internationale Erfahrungen zeigen, teurer als Streitkräfte, die Elemente der Wehrpflicht bewahren. Auch die vielbeschworenen und mit Blick auf die Nachwuchsgewinnung wohl unerläßlichen Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes werden nicht umsonst zu haben sein. Größere Einsparungen lassen sich also nur erzielen, wenn die Mittel für militärische Beschaffungen gekürzt werden.

Immerhin gibt sich das Verteidigungsministerium nicht der Illusion hin, eine verstärkte internationale Kooperation (Nato, EU) könnte in absehbarer Zeit Entlastung bieten. Dafür hat es gute Gründe. Zum einen ist eine „Arbeitsteilung“ in dem Sinne, daß sich die Streitkräfte der Partnerstaaten jeweils auf ausgewählte Fähigkeiten spezialisieren, nicht in Sicht. Zum anderen hat die multinationale Zusammenarbeit in größeren Rüstungsvorhaben bislang eher durchwachsene Resultate gezeitigt.

Die Forderungen der beteiligten Streitkräfte auf einen Nenner zu bringen, ist zumeist nicht möglich und in jedem Fall zeitraubend. Den Auftragnehmern wird oft die betriebswirtschaftlich aberwitzige Auflage gemacht, in der Produktion und der Auftragsvergabe an Subunternehmen die Industrien aller an dem Vorhaben beteiligten Nationen nach einem verpflichtenden Schlüssel einzubeziehen. Dadurch entstehen nicht nur vermeidbare Kosten. Auch Verzögerungen und Qualitätsprobleme sind vorprogrammiert.

Effizienzgewinn und Kostensenkung in der Beschaffung lassen sich somit nicht auf die internationale Ebene delegieren, die Bundeswehr muß hier eigene Lösungen ersinnen. Eine von ihnen liefert die Umfangsreduzierung frei Haus: Nimmt die Personalstärke der Bundeswehr ab, so sinkt, wenn auch nicht notwendigerweise in gleichem Maße, der Ausrüstungsbedarf.

Davon sind selbst Großvorhaben, die bereits unter Vertrag sind, nicht ausgenommen, Nachverhandlungen über Stückzahlen stehen daher ins Haus. Vor allem aber kann altes Gerät, dessen Wartung teuer ist, vorzeitig aus der Nutzung genommen werden.

Nicht zuletzt will sich die Bundeswehr ausufernde Entwicklungszeiten für neue Systeme nicht mehr gönnen. Dafür nimmt sie in Kauf, nur über Technologien zu verfügen, die bereits verfügbar sind. Für die Szenarien der „asymmetrischen Kriegführung“, in denen sie heute denkt, ist dergleichen in der Regel mehr als ausreichend. Der Trend, im Verteidigungshaushalt immer weniger Mittel für Forschung und Entwicklung vorzusehen, setzt sich der Logik der neuen Beschaffungsphilosophie folgend fort.

Für die deutsche wehrtechnische Industrie hat dies tiefgreifende Konsequenzen. Sie muß davon ausgehen, daß sie bei deutschen Ausschreibungen in der Regel dann den kürzeren zu ziehen droht, wenn sie nicht „von der Stange“ liefern kann. Dazu wird sie aber nur bedingt in der Lage sein, weil wehrtechnische Entwicklungen in eigener Verantwortung riskante Investitionen darstellen, die nur dann zu vertreten sind, wenn der zukünftige Ausrüstungsbedarf der Bundeswehr halbwegs verläßlich erkennbar ist. Ausländische Konkurrenten wittern daher bereits heute Morgenluft.

Wenn sich die Bundeswehr damit zufriedengibt, daß die geforderten Spezifikationen nur näherungsweise erreicht werden, gibt es kaum ein Rüstungsgut, das nicht schon von der Industrie irgendeines Partnerstaates geliefert werden könnte – und dies zu einem günstigen Preis, da die Entwicklungskosten bereits aus dem Verteidigungshaushalt des Herkunftslandes finanziert wurden.

Der wehrtechnischen Branche Deutschlands stehen damit nicht allein Umsatzeinbußen mit der Bundeswehr ins Haus. Ihr droht auch ein allmähliches Schwinden der technologischen Alleinstellungsmerkmale, auf denen ihre Erfolge im Auslandsgeschäft gründen. Besondere Kompetenzen deutscher Unternehmen, etwa auf den Technologiefeldern U-Boote, geschützte Fahrzeuge, Elektronik, Lenkflugkörper oder Schutztechnologien, lassen sich nicht aufrechterhalten, wenn sie nicht durch Bundeswehraufträge genährt werden.

Es wird zwar geschätzt, daß trotz der sehr restriktiven Ausfuhrbestimmungen bis zu 70 Prozent der Umsätze deutscher Rüstungsfirmen dem Export zu verdanken sind. Akquiseerfolge bei ausländischen Streitkräften setzen aber voraus, daß das Rüstungsgut bereits von der Bundeswehr angeschafft wurde und damit sein „Gütesiegel“ erhalten hat.

Für die Bundeswehr können derartige Gesichtspunkte in ihrer Auftragsvergabe jedoch keine zentrale Rolle spielen. Sie hat im Rahmen eines vorgegebenen Finanzrahmens ihre Aufgaben zu erfüllen und sich dazu die erforderliche Ausrüstung zu beschaffen. Industriepolitik auf dem Gebiet der Wehrtechnik ist nicht ihr Metier. Allerdings sieht sich auch kein anderes Ressort in dieser Verantwortung. Eine Branche mit knapp 80.000 Beschäftigten ist in sozialpolitischer Hinsicht ein Leichtgewicht. Die hochqualifizierten Arbeitnehmer, die um ihren Job bangen, dürften zudem ohne Mühe einen neuen in Unternehmen finden, die weniger „anstößige“ Produkte anbieten.

Eine strategische Beurteilung der Bundesregierung, welche wehrtechnischen Schlüsseltechnologien für Deutschland unverzichtbar sind, findet nicht statt. Auch ein möglicher Know-how-Abfluß ins Ausland wird offenbar nicht als bedenklich bewertet. Branchenkenner erwarten, daß insbesondere französische und US-Firmen in Deutschland auf Einkaufstour gehen werden, um mittelständische High-Tech-Betriebe zu erwerben. Die Befürchtung, daß hierdurch in Berlin die Alarmglocken erklingen könnten, müssen sie nicht hegen.

Foto: Skandalumwitterte militärische Großvorhaben (v.o.n.u): Transportflugzeug Airbus A400M (D, E, GB, F), Transporthubschrauber NH90 (D, F, I, NL) und die Korvette K 130 (D) – allen gemein erhebliche technische Mängel, explodierende Kosten, Ineffizienz und verzögerte Indienststellung

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