© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Das Tor steht weit offen
EU-Grenzschutzagentur Frontex: Angetreten, um die Schlup­ öcher der illegalen Einwanderung nach Europa zu stopfen
Curd-Torsten Weick

Das Tor nach Europa steht im Osten Griechenlands weit offen. Täglich überquerten bis zu 300 Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan, dem Irak und sogar aus Afrika die schlecht gesicherte türkisch-griechische Landgrenze. Allein zwischen Januar und Oktober 2010 wurden 75.000 illegale Grenzübertritte verzeichnet. Neuralgischer Punkt der 200 Kilometer langen Grenze ist ein zwölf Kilometer langer Abschnitt am Grenzfluß Evros nahe der griechischen Ortschaft Orestiada und der türkischen Grenzstadt Edirne.

Angesichts überforderter Polizeikräfte und überfüllter Auffanglager forderte die Regierung in Athen Ende Oktober erstmals in der Geschichte der Frontex die schnellen Eingreifteams der EU-Grenzschutzagentur an. Die EU gab zügig grünes Licht. Denn über 80 Prozent der illegalen Einwanderer nach Europa kommen derzeit über Griechenland. Kurz darauf setzte Frontex 175 Grenzschutzspezialisten, unter ihnen 40 deutsche Bundespolizisten in Marsch. Ausgerüstet ist das „Soforteinsatzteam für Grenzsicherungszwecke (Rapid Border Intervention Team)“ mit einem Helikopter, Wärmebildfahrzeugen, Nachtsichtgeräten und Spürhunden.

Mit dem Erfolg steigt die Kritik an der Frontex-Arbeit

 Frontex wurde im Oktober 2004 per EU-Ratsbeschluß ins Leben gerufen. Bereits am 3. Oktober 2005 wurde die Arbeit aufgenommen. Grund für die Schnelligkeit: Die Mittelmeerstaaten Spanien, Italien und Frankreich drängten angesichts erheblicher Flüchtlingsströme, doch auch der stete Abbau der Binnengrenzkontrollen zwang die EU zum Handeln gegen die illegale Einwanderung. Im September 2007 eröffnete dann die Frontex-Zentrale in Warschau.

Die Aufgaben der EU-Agentur sind vielfältig. Neben der Erstellung von Risikoanalysen sind das die Koordinierung der Zusammenarbeit der Grenzpolizeien, deren Ausbildung, Kontrollen auf Flughäfen sowie Rückführungsmaßnahmen. An der Spitze von Frontex steht der finnische Brigadegeneral Ilkka Laitinen. Seine Arbeit wird überwacht durch einen Verwaltungsrat, der sich aus Vertretern der EU-Staaten, dem Schengen-Abkommen assoziierten Ländern sowie zwei Repräsentanten der EU-Kommission zusammensetzt.

Zunächst als Papiertiger belächelt, hat sich Frontex zu einem ernstzunehmenden Faktor entwickelt. Die Mitarbeiterzahl stieg von 40 (2005) auf knapp 200. Das Budget wuchs von 6,3 Millionen Euro (2005) auf 89 Millionen Euro im Jahr 2009.

Für die Einsätze stellen die Mitgliedstaaten einen Personalbestand von rund 690 Grenzschutzbeamten, über 100 Schiffe sowie rund 45 Flugzeuge und Hubschrauber zur Verfügung.

Einsätze gab und gibt es seit 2005 genug. Ob die Operation „Poseidon“ im östlichen Mittelmeer, „Hera“ im Bereich der Kanarischen Inseln und der Küste Westafrikas oder „Nautilus“ im Mittelmeer zwischen Nordafrika und Malta beziehungsweise Süditalien.

Frontex scheint vorbereitet. Und nach Eigenangaben wird in den letzten eineinhalb Jahren eine Erfolgsgeschichte geschrieben. Demnach ist auf der osteuropäischen Route eine Halbierung der illegalen Grenzübertritte (2008: 2.700 Aufgriffe; 2009: 1.300) zu verzeichnen. Vor allem seien auf der westafrikanischen und südosteuropäischen Route signifikante Rückgänge zu verzeichnen. Ob auf dem Seeweg zwischen Afrika und der EU (2008: 85.000 Aufgriffe; 2009: 49.000; minus 43 Prozent) oder in der Ägäis. Hier wurden von Januar bis Juni 2009 15.000 Personen gezählt, im gleichen Zeitraum 2010 nur noch 4.800.

Doch mit dem Erfolg steigt die Kritik. Ob Grüne Jugend, Die Linke, Pro Asyl oder die Antifa – alle kritisieren die Abschottungspolitik der „Festung Euro-pa“ und die Praktiken der „modernen Menschenjäger“. Demgegenüber wird Frontex-Chef Laitinen nicht müde darauf hinzuweisen, daß die Einsätze den Maßstäben der internationalen Flüchtlings-Konvention entsprechen. Auch liege die Verantwortung jeweils in den Händen der nationalen Grenzschutzbehörden.

Dies ist auch in Griechenland der Fall. Doch sind hier nicht nur überforderte griechische Grenzschützer das Problem. Die Probleme lauern auf der anderen Seite des Evros. Denn auf türkischer Seite sind die Kontrollen lasch. Zudem sieht sich Ankara vertragsgemäß nicht dazu verpflichtet, Flüchtlinge aus nichteuropäischen Ländern zurückzunehmen. Frontex hat zwar Verhandlungen aufgenommen. Diese sind aber aufgrund von Problemen bei der Angleichung im Bereich des Asylrechts zwischen der Türkei und der EU „vorübergehend ausgesetzt“.

Fotos: Einsatz in Griechenland: Frontex-Chef Laitinen begrüßt das Einsatzteam in Orestiada, Flüchtlingslager in Griechenland: Über 70.000 Afghanen, Iraker und Pakistani kamen zwischen Januar und Oktober 2010 über die Grenze

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