© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Alltäglicher Ernstfall
Die Terror-Hysterie lenkt von der wachsenden Gewalt in unseren Städten ab
Kurt Zach

Es geht also doch: Auch der deutsche Staat kann wehrhaft auftreten, wenn er denn will. Gut bewaffnete und in großer Zahl an Bahnhöfen und Flughäfen patrouillierende Polizeibeamte haben den Bürgern in den letzten Wochen vermittelt, was ihnen keine Deeskalationstaktik und kein fürsorglich mit der psychosozialen Rundumbetreuung potentieller „Gefährder“ beauftragter Sozialarbeiter oder Bewährungshelfer geben kann: eine Atmosphäre der Sicherheit, die nur ein Staat ausstrahlen kann, der sich entschlossen zeigt, sein Gewaltmonopol nach innen und nach außen zu verteidigen.

Die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols ist die Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratie, Rechtsstaat und Zivilgesellschaft – daran hat die Auseinandersetzung um die jüngsten Terrorwarnungen wieder unsanft erinnert. Manchem ist das unangenehm. Die Hast, mit der in Politikerkreisen bereits wieder nach der Rückkehr zur Tagesordnung gerufen wird, und die demonstrative Sehnsucht nach einem Zurückfahren der kostspieligen Polizeipräsenz ist ein Indiz, daß die Lektion zumindest bei der politischen Klasse noch nicht allzu tief sitzt.

Allzu schnell hat diese ihre Debattenbeiträge auf das Für und Wider neuer und noch ausgefeilterer Überwachungsmaßnahmen verengt. Das führt in die Irre: Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch im nationalen Sicherheitsinteresse. Sämtliche Bürger unter Generalverdacht zu stellen und mit ihrer potentiell lückenlosen Überwachung immense Datenmengen anzuhäufen kann allen möglichen Zwecken dienen, am wenigsten allerdings der effektiven Prävention gegen Terror und Anschläge.

Die nämlich kommt nicht ohne konkrete Lageanalyse und Eingrenzung des Kreises der Terrorverdächtigen aus. Zu Unrecht wurde der Berliner Innensenator Körting auch von nicht-linken Kommentatoren für seine Überlegung gescholten, doch verstärkt ein Auge auf verdächtig agierende Araber beziehungsweise Muslime zu werfen. In Israel hätte er sich dafür nicht entschuldigen müssen: Am sichersten Flughafen der Welt in Tel Aviv spottet man nur über den in Amerika und der Europäischen Union zelebrierten Sicherheitsfetischismus, der den Großteil seiner Energie darauf verschwendet, harmlose und unbescholtene Touristen zu schikanieren.

Im Ben-Gurion-Flughafen gibt es keine „Nacktscanner“, kein Flüssigkeitsverbot im Bordgepäck und keine terrorzielverdächtigen Mega-Warteschlangen: Erfahrene und geschulte Sicherheitsbeamte nehmen die Reisenden unter die Lupe und sprechen Verdächtige gezielt an. Daß dabei Palästinenser und Muslime häufiger ins Visier geraten, beruht auf Erfahrungswerten: Nicht jeder Muslim ist ein Terrorist, aber die meisten Terroristen sind nun einmal Islamisten. Die Obsession, niemanden zu beleidigen und deshalb auf ein Sortieren der Reisenden nach Herkunft und Religion zu verzichten, kann nach israelischer Lesart Menschenleben kosten.

Solch ein Konzept geht freilich nur auf, wenn man auf schlecht bezahlte und verführungsanfällige Billiglöhner verzichtet und gut ausgebildete und besoldete Sicherheitskräfte in ausreichender Zahl einsetzt. Kein noch so hochgezüchtetes technisches Hilfsmittel kann diesen wichtigsten Faktor bei der Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit ersetzen.

Die wiederaufgewärmte Diskussion über Bundeswehreinsätze im Inland ist allerdings eine Sackgasse. Die Aufgaben zwischen Polizei und Bundeswehr sind klar verteilt; ein Ausgezehrter und Überlasteter kann den anderen nicht stützen, ohne seine eigenen Pflichten erst recht nicht mehr erfüllen zu können. Für Polizei und Armee gilt gleichermaßen: Kaputtsparen und Kleinschrumpfen der Sicherheitskräfte nach Kassenlage ist lebensgefährlicher Leichtsinn.

Erst recht ist es widersinnig, mit Milliardensummen schwerbewaffnete Patrouillen und Kleinfeldzüge im afghanischen Hochland zu finanzieren, aber im Inland das staatliche Gewaltmonopol preiszugeben und in heimischen Großstädten Sperrgebiete zu dulden und expandieren zu lassen, die Bürger und selbst Polizisten kaum noch zu betreten wagen. Daß inzwischen auch in Deutschland „hausgemachte“ islamistische Terroristen heranwachsen, die sich in diesen Milieus wie Fische im Wasser bewegen, ist allein schon ein Indiz dafür, daß auch die Einwanderungspolitik Teil der Sicherheitspolitik ist.

Der Kampf gegen den Terror beginnt beim Kampf gegen gewaltbereite Parallelgesellschaften und Subkulturen, seien sie islamistisch oder linksextremistisch. Sichtbare Polizeipräsenz schafft nicht nur in Flughäfen, Zügen und Bahnhöfen Respekt, sondern auch auf den Straßen der Ghettos von Neukölln oder Marxloh. Eine konsequent auftretende Staatsmacht könnte dem Spuk von Deutschenfeindlichkeit und Staatsverachtung durch Angehörige eingewanderter Parallelgesellschaften weit wirksamer ein Ende setzen als so manches Integrationspalaver oder millionenschwere Sozialarbeiterprogramme. Wer dagegen aus Furcht vor Bürgerkriegsszenen wie in den französischen Banlieues vom Durchsetzen des staatlichen Gewaltmonopols abrät und weiter sein Heil in der Deeskalation sucht, verschiebt die Lösung des Problems auf einen späteren, noch schlechter geeigneten Zeitpunkt und hat damit die Türe zur Kapitulation bereits aufgestoßen.

Gerade in Krisenzeiten gilt: Der Staat muß sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren. Die Herstellung von Sicherheit und Ordnung gehört zweifelsfrei dazu, die weitere Aufblähung von Sozialindustrie und Umverteilungsapparaten nicht. Die Bürger haben ein Recht darauf, daß ihre Steuergelder nicht für Partikularinteressen eingesetzt werden, sondern für das Gemeinwohl. An Geld mangelt es den öffentlichen Kassen nicht – es fehlt der Mut und der Wille, die richtigen Prioritäten zu setzen.

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