© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Beruhigungspillen aus Lissabon
Portugal: Im Sog der Eurokrise versucht das Land Zweifel zu zerstreuen / Wirtschaftliche Daten sehen nicht rosig aus
Michael Ludwig

Als vor knapp zwei Wochen das Gipfeltreffen der Nato-Staaten in Lissabon stattfand, nahm – so die spanische Tageszeitung El País – der portugiesische Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva den amerikanischen Präsidenten Barack Obama beiseite und sprach eindringlich auf ihn ein. „Ich gehe davon aus“, sagte er, „daß es nicht notwendig sein wird, die EU und den Internationalen Währungsfonds um Hilfe zu bitten, um aus der Eurokrise herauszukommen.“ Dann zählte er die Gründe auf, die sein Land besser dastehen lassen als Irland: „Die Banken wackeln nicht, wir leiden unter keiner Immobilienblase, und die Verschuldung der öffentlichen Hand bewegt sich im europäischen Mittelfeld.“

So sehr der portugiesische Präsident die Spitzenpolitiker anderer Länder auch zu beruhigen versucht, ob sein Land tatsächlich aus der Krise finden wird, kann niemand zuverlässig voraussagen. Tatsache ist, daß das Land wirtschaftlich ziemlich am Ende ist. Die einst so erfolgreiche Textilindustrie ist in asiatische Billiglohnländer weitergezogen, der Maschinenpark der Fabriken gilt als hoffnungslos veraltet, die Unternehmer des Landes haben es nicht geschafft, durch Innovationen die Beschäftigung auf längere Sicht zu sichern. Die Folge ist, daß Portugal seit zehn Jahren kein Wirtschaftswachstum mehr verzeichnen konnte. Die privaten Haushalte gelten als überdurchschnittlich verschuldet, die Arbeitslosigkeit kletterte auf elf Prozent. Die fehlenden Steuereinnahmen ließen das Haushaltsdefizit auf 9,4 Prozent anschwellen.

Um nicht noch stärker in den Abstiegsstrudel zu geraten, warf die sozialistische Minderheitsregierung unter Ministerpräsident José Sócrates das Ruder herum. Sie setzte rigorose Sparmaßnahmen durch – sie sehen unter anderem Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst um fünf Prozent, Einfrierung der Renten sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von gegenwärtig 21 auf 23 Prozent vor. Die Gewerkschaften, die bislang eher gemäßigt als radikal auftraten, riefen ihre insgesamt 1,5 Millionen Mitglieder zum eintägigen Generalstreik auf, dem ersten seit 20 Jahren. Vor allem das Gesundheitswesen, die Schulen, die Müllabfuhr sowie der Nah- und Fernverkehr der Bahn wurden lahmgelegt. Zahlreiche Touristen, darunter auch viele Deutsche, konnten von den portugiesischen Flughäfen aus ihre Heimreise nicht antreten, weil ihre Flüge dem Arbeitskampf zum Opfer fielen.

Die Frage, die jetzt nicht nur die Portugiesen, sondern auch die übrigen Staaten der Eurozone sowie die Währungsspekulanten auf der ganzen Welt umtreibt, ist die, wie es nun weitergehen soll. In einem Beitrag für die angesehene Zeitschrift Express beschreibt die Europaspezialistin Maria João Rodrigues vier mögliche Szenarien. Sie reichen von einer gelungenen Konsolidierung des portugiesischen Staatshaushaltes sowie einer Verbesserung der industriellen Struktur bis zum Austritt Lissabons aus dem Euroverbund. In ihrem Artikel bricht sich eine gehörige Portion Skepsis Bahn, ob es der amtierenden Regierung gelingen wird, die ehrgeizigen Sparziele zu erreichen.

Wie zerbrechlich das Vorhaben der Sozialisten ist, haben die jüngsten Debatten offengelegt. Obwohl die größte Oppositionspartei, die in der rechten Mitte angesiedelte PDS, den Haushalt der sozialistischen Regierung passieren ließ, um größeren Schaden vom Land fernzuhalten, erklärte deren Vorsitzender Pedro Passos Coelho, die öffentlichen Schulden würden in Wirklichkeit sehr viel höher ausfallen als angegeben: „Die Zahlen sind nichts anderes als Attrappen.“ Solche Bemerkungen spiegeln das Fehlen einer politischen Übereinkunft wider, erzeugen trotz Sparkurshoffnungen Verunsicherung und sind allein für die internationalen Finanzmärkte kein gutes Zeichen.

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