© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Kriegsgrüße aus Pjöngjang
Koreakonflikt: Nur ein weiterer kleiner Funke kann den Bruderkrieg von 1950/53 schnell wiederaufleben lassen
Albrecht Rothacher

Über einhundert Granaten feuerte Nordkorea auf die dreizehn Kilometer seiner Küste vorgelagerte, zwischen Nord- und Südkorea umstrittene Insel Yongpyong ab. Zwei Soldaten und zwei Bauarbeiter starben. Dutzende Gebäude wurden beschädigt. Alle 1.600 Inselbewohner wurden evakuiert. Vorgeblich hatten die alljährlichen Heeresmanöver der Südkoreaner und ihre bevorstehenden Seemanöver den Zorn des Nordens ausgelöst.

Das Regime der Kims reagiert stets gewalttätig, wenn es unter Streß steht oder sich bedroht fühlt. Als Kim Jong-il die Nachfolge seines Vaters Kim Il-sung antrat, ließ er 1987 ein südkoreanisches Flugzeug sprengen (115 Tote) und in Rangoon in Burma beim Staatsbesuch des südkoreanischen Präsidenten sein halbes Kabinett mit einem Bombenattentat ermorden. Jetzt bereitet der schwerkranke Despot seinen 27jährigen dritten Sohn Kim Jong-un auf die Nachfolge vor. Der ungediente, finster blickende Jüngling wurde im September zum Viersternegeneral und Mitglied der Militärkommission, Nordkoreas oberstes Führungsgremium, ernannt. Andere enge Verwandte wurden in Schlüsselpositionen befördert, um die Herrschaft der Dynastie nach Kim Jong-ils Abtritt abzusichern. Mutmaßlich hat der Junior, um vor den Generalen das künftige Sagen zu demonstrieren, wie weiland der Vater, den Angriff befohlen.

Beunruhigend ist dabei, daß sich die Gewalttätigkeit des Nordens und sein Vernichtungspotential steigern. Im März versenkte ein U-Boot die Korvette „Cheonan“ (46 Tote), und im September führte Nordkorea, nach dem erfolgreichen Atomtest und den Raketenabschüssen des Vorjahres, der überraschten Weltöffentlichkeit eine hochmoderne Urananreicherungsanlage mit Hunderten von Zentrifugen vor, durch die sein atomares Aufrüstungsprogramm stark beschleunigt werden könnte.

Der Zweck solcher Übungen war in der Vergangenheit immer, neue Nahrungsmittel- und Energielieferungen von Südkorea und dem Westen zu erpressen.Wenig überraschend steht der maroden Diktatur wieder nach den üblichen Mißernten das Wasser bis zum Hals. Für die nur wenige Stunden dauernden, streng überwachten Treffen getrennter Familien verlangte der Norden Sog der Eurokrise geraten 300.000 Tonnen Kunstdünger und 500.000 Tonnen Reis.

Im Gegensatz zu der gescheiterten früheren „Sonnenscheinpolitik“ will der Süden sich jedoch nicht länger nötigen lassen. Auch die USA wollen ohne konkrete Vorleistungen des Nordens bei der atomaren Abrüstung sich auf keine Verhandlungen und Hilfslieferungen mehr einlassen.

Im Gegenteil, als Machtdemonstration wurde der Flugzeugträger „George Washington“ ins Gelbe Meer beordert. Präsident Obama verkündete, die USA würden ihren koreanischen Bundesgenossen nicht im Stich lassen. Koreas Präsident kündigte an, im Wiederholungsfall würde seine Armee Vergeltung üben. Sein Verteidigungsminister mußte gehen, weil es dreizehn Minuten (statt der vorschriftsmäßigen drei) gedauert hatte, bis die Artillerie die feuernden nordkoreanischen Batterien unter Gegenfeuer genommen hatte.

Eine Eskalation könnte Krieg bedeuten – mit der Elf-Millionen-Metrople Seoul in nur dreißig Kilometern Entfernung zur Waffenstillstandsgrenze von 1953 voll in Reichweite der nordkoreanischen Fernartillerie und Raketenwaffe. Weniger Gefahr droht von der Marine, der Panzer- und Luftwaffe des 1,2 Millionen-Mann-Heeres des Nordens. Ihre Ausrüstung besteht aus sowjetischen Fabrikaten der 1960er und 1970er Jahre, leidet unter Treibstoffmangel und ist den modernen südkoreanisch-amerikanischen Kräften hoffnungslos unterlegen.

Niemand, außer vielleicht die unberechenbare Führung in Pjöngjang, hat derzeit ein Interesse an einer Neuauflage des Krieges von 1950 bis 1953, auch Nordkoreas Schutzmacht China nicht. China konnte sich zwar weder zur Verurteilung der Torpedierung der Cheonan noch des aktuellen Artillerieüberfalls aufraffen. Nach der Versenkung im März gab es in Peking gar einen roten Teppich und Bruderküsse für die Kims. Der Inthronisierung von Kim junior wohnte ein Pekinger Politbüromitglied auf der Ehrentribüne applaudierend bei.

Kein Zweifel, trotz aller internationalen Peinlichkeit ihres Terrorregimes setzt Peking weiter auf ihre Dynastie, die es mit Nahrungs- und Öllieferungen über Wasser hält. Die Teilung Koreas und das atomare Risiko des Nordens ist Peking noch immer lieber als eine wiedervereinigte westlich-nationalistische Mittelmacht, die sich dem chinesischen Einfluß entzöge und sich der großen koreanischen Minderheit in der Mandschurei annehmen könnte. So ruft China lediglich zur Wiederaufnahme der Sechs-Parteiengespräche zwischen Nord- und Südkorea, Japan, Rußland, China und den USA auf, die nach jahrelanger Erfolglosigkeit suspendiert worden waren.

Foto: Die Insel Yongpyong unter nordkoreanischem Artilleriebeschuß (23. November 2010): Zwei Soldaten und zwei Bauarbeiter starben, mehr als ein Dutzend Menschen wurden verletzt

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