© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Putins Wirtschaftsgemeinschaft vom Atlantik bis zum Pazifik
Europäische Visionen
Alexander Rahr

Wladimir Putins Idee von einem Großeuropa, vorgetragen auf dem Wirtschaftsforum der Süddeutschen Zeitung vorige Woche in Berlin, ist nicht neu. Der Premier hat nur die russische Vision von Europa nach dem Ende des Kalten Krieges in Erinnerung gerufen. Rußland weiß, daß es nur als integraler Teil Europas überleben kann. Rußland hat nach dem Abschütteln des Tatarenjochs seinen Beitrag zur abendländischen Kultur geleistet. In Asien wartet niemand auf Rußland, und die asiatische Kultur ist den Russen fremd.

Nach dem Ende des Kommunismus suchte Rußland ständig Europa. Michail Gorbatschow wollte ein gemeinsames europäisches Haus, Boris Jelzin ein gemeinsames politisches System auf der nördlichen Erdhalbkugel, Putin war immer schon für eine Energieallianz EU-Rußland und Dmitri Medwedew für eine gemeinsame euroatlantische Sicherheitsarchitektur. Damit kein Mißverständnis entsteht: Rußland will kein Teil des Westens werden. Es beansprucht für sich den Status einer führenden europäischen Großmacht. Rußlands Vorstellungen von Europa entsprechen weniger denen von einer demokratischen Wertegemeinschaft als dem geopolitischen Denken des „Konzerts der Mächte“. Moskau möchte auch seine angestammte Hemisphäre behalten und begründet deshalb gerade eine östliche Zollunion.

Rußland will nicht der EU beitreten, geschweige denn nationale Souveränitätsrechte an Brüssel abgeben. Aber es möchte mit Europa in einer Wirtschaftsgemeinschaft leben, vielleicht eine gemeinsame Währungszone gründen und einen gemeinsamen Raketenabwehrschirm errichten. Wie sollen diese unterschiedlichen Vorstellungen zusammenkommen? Käme es zu einer gemeinsamen Raketenabwehr, wäre Rußland plötzlich eine Schutzmacht für Europa – für viele noch ein absurder Gedanke.

 

Alexander Rahr ist Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

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