© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Lockerungsübungen
Denkanstoß für Deutsche
Karl Heinzen

Der sozialdemokratische Europaabgeordnete Martin Schulz ist erneut beschuldigt worden, ein Anhänger des Nationalsozialismus zu sein. Bereits 2003 war ihm vom damals amtierenden EU-Ratspräsidenten Silvio Berlusconi bescheinigt worden, er sei die Idealbesetzung für die Filmrolle eines KZ-Aufsehers. Dies konnte seinerzeit noch als ironische Bemerkung durchgehen. Nun hat jedoch der britische EU-Parlamentarier Godfrey Bloom (UK Independence Party) nachgelegt und während einer Plenarsitzung nicht allein seinen Debattenbeitrag zur Zukunft Europas mit NS-Parolen gestört, sondern ihn anschließend auch noch als „undemokratischen Faschisten“ denunziert.

Die Empörung, die Schulz nun an den Tag legt, ist subjektiv verständlich, zumal er selbst ein wachsames Auge auf Gefährdungen der Demokratie von rechts wirft und so noch jüngst einen Abgeordneten der niederländischen „Partei für die Freiheit“ als Faschisten entlarven konnte. Gleichwohl sollte die Wiederholung des Vorwurfs ihm auch als ein Denkanstoß dienen, denn schon viele, die glaubten, keine Rechtsextremisten zu sein, haben sich in dieser Selbsteinschätzung bitterlich geirrt. Dies liegt sicher auch daran, daß die historischen Nazis und Faschisten über keinen festen Standpunkt verfügten, sondern alles mögliche und stets das exakte Gegenteil zugleich vertreten haben. Es gibt daher kaum eine Meinungsäußerung, die man nicht in diese Ecke stellen könnte.

Darüber hinaus ist Martin Schulz aber auch ein persönliches Fehlverhalten anzukreiden, das NS-Vergleiche provoziert. Obwohl er sich schon lange auf der Ebene der europäischen Politik bewegt, hat er immer noch nicht begriffen, welche Rolle einem Deutschen gemäß ist. Es ist sicher richtig, die Interessen der EU als Ganzes über jene der eigenen Nation zu stellen. Dieses Prinzip haben aber allein Deutsche zu beherzigen, und sie dürfen nicht verlangen, daß es auch bei den EU-Partnern zum Tragen kommt. Wer, wie Martin Schulz, dieser Regel sturköpfig zuwiderhandelt, setzt sich einem schlimmen Verdacht aus: Waren es nicht die Nationalsozialisten, die der Vorstellung eines europäischen Großraumes frönten? Die angeblich geläuterten Deutschen von heute sollten daher den Eindruck vermeiden, sie wollten sie auf unkriegerischem Weg Wirklichkeit werden lassen.

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