© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

„Ikone von Deutschtum und Männlichkeit“
Thomas Vordermayers „Stichproben“ zur deutschen Ernst-Moritz-Arndt-Rezeption zwischen 1910 und 1935
Eike Butzlaff

Aus dem jüngsten geschichtspolitischen Gefecht, dem Namensstreit um die Greifswalder Ernst-Moritz-Arndt-Universität, ging der „Sänger des Befreiungskrieges“ als Sieger hervor (JF 5/10). Nicht zuletzt deshalb, weil es den Gegnern zeitgeistiger Geschichtsklitterung gelungen war, das für gewöhnlich tödliche „Argument“, die Denunziationsvokabel „Antisemitismus“, die die Anwälte der Umbenennung gegen Arndt ins Treffen führten, als ahistorisch zu entkräften. Sie können sich jetzt durch einen Aufsatz des Augsburger Doktoranden Thomas Vordermayer zur deutschen Arndt-Rezeption zwischen 1910 und 1935 bestätigt fühlen (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 4/2010). Biographie und Werk des Historikers, Poeten und Publizisten seien zwischen Wilhelminismus und Nationalsozialismus zwar unter vielen Aspekten für den politischen Tageskampf ausgebeutet worden. Aber dem „Antisemitismus im Arndt-Diskurs“ komme im Untersuchungszeitraum nur eine „marginale Bedeutung“ zu. Und zwar nicht, weil man um 1920 etwas übersehen hätte, das auf seine „Entlarvung“ bis 2009 hätte warten müssen. Sondern weil das gesamte umfangreiche, bis heute nicht in einer kritischen Ausgabe vorliegende Opus des politisch umtriebigen Polemikers für eine Autorisierung judenkritischer Positionen kaum etwas hergab. „Zwar lassen sich“, so resümiert Vordermayer, „jeweils in vereinzelten Randbemerkungen antisemitische Äußerungen nachweisen, ihre Dichte ist jedoch bei weitem zu gering, als daß ihnen eine diskurstragende Rolle nachgesagt werden könnte.“

Folglich gelte für Arndt wie für die Arndt-Rezeption: „Radikalantisemitische Stellungnahmen besaßen keine Deutungsmacht.“ Damit dürfte jenes hysterische Geschrei über den Altliberalen und 1848er, das gern suggierieren möchte, „in Wahrheit“ sei dieser Verteidiger der Geistesfreiheit ein „Vorläufer“ oder „Vordenker“ der NS-Bewegung gewesen, hoffentlich endgültig verstummen.

Was Vordermayer sonst noch zutage fördert, bedient indes die „ideologiekritischen“ bundesdeutschen Üblichkeiten. So stimmt er vor allem Heinz Duchhardts Einschätzung über die enorme Wirkungsmacht der gegen Napoleon und die französischen Besatzer gerichteten Arndt-Pamphlete zu, die den „mentalen Nationsbildungsprozeß“ entscheidend mitgeformt und im 19. Jahrhundert ein gegen Frankreich gerichtetes „Erbfeindschaftsdenken“ konsolidiert hätten. Die zentralen Deutungsmuster seiner Interpreten konturierten daher Arndt als „Erzfeind“ der westlichen Aufklärung und des Kosmopolitismus, als „Ikone von Deutschtum und Männlichkeit“, bringen ihren Helden auch gegen den Weimarer Demokratismus in Stellung und wagen ein paar matte, jedoch ebenso wie im Falle des „Antisemitismus“ mißlingende Vereinnahmungsversuche zur Legitimation des Rassedenkens. Obwohl es zahlreiche Überschneidungen mit der „erinnerungskulturellen Instrumentalisierung“ des preußischen Reformers Freiherr vom Stein gegeben habe, blieb die auf Arndt konzentrierte „Memorialkultur“ eine „fast ausnahmslos rechtskonservativ bis rechtsradikal konnotierte“ Domäne. Nach 1933 hätten sich diese Deutungen daher als „systemkonform“ erwiesen. Das sind gewagte Thesen angesichts des Eingeständnisses, 500 im Untersuchungszeitraum anfallende Arndt-Aufsätze und -Bücher nur „in Stichproben“ ausgewertet und die Analyse obendrein auf 1935 begrenzt zu haben.

Und Absonderlichkeiten und Falschangaben sorgen für zusätzliche Irritationen: Welche Relevanz etwa soll es haben, wenn das Alter des jeweiligen Verfassers zum Zeitpunkt seiner Arndt-Veröffentlichung penibel notiert wird? Über den versprochenen „Kontext“ der „Diskursträger“, darunter „Universitätsangestellte“ (gemeint sind offenbar nicht Pedelle, sondern Dozenten), sagt es jedenfalls nichts Handfestes aus. Sofern Vordermayer dazu noch berufliche Angaben macht, gerät das meist zu knapp, oder es liegt so daneben wie beim braven Kulturhistoriker Eduard Heyck, den er postum zum „Ordinarius für Geschichte in Heidelberg“ beruft.   www.oldenbourg-verlag.de

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