© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Es geht langsam voran
Nach dem Aus für den Transrapid sind in Deutschland keine revolutionären Bahninnovationen zu erwarten
Ekkehard Schultz / Jörg Fischer

Pünktlich wie die Eisenbahn!“, so warb die Deutsche Reichsbahn vor dem Zweiten Weltkrieg. Und damals konnte man in der Tat die Uhr nach dem Fahrplan stellen. In Japan ist das noch heute so: Der Shinkansen-Expreß zwischen Tokio und Osaka hatte 2009 eine durchschnittliche Verspätung von 36 Sekunden. Die Züge fahren auf der 515 Kilometer langen Strecke im Zehn-Minuten-Takt und brauchen dafür weniger als zweieinhalb Stunden. Ähnlich pünktlich sind die dortigen Regional- und S-Bahnen. Die Deutsche Bahn AG (DB) kommt hingegen nicht aus den Negativschlagzeilen heraus – angefangen vom Berliner S-Bahn-Chaos bis hin zur Pannenserie beim Hochgeschwindigkeitstriebzug ICE. Im 175. Jubiläumsjahr der Eisenbahn in Deutschland stellt sich daher die Frage: Wie soll es angesichts der Konkurrenz von Auto und Billigfliegern weitergehen?

Für die Antwort ist ein Blick zurück notwendig. Während 1964 in Japan der Shinkansen-Betrieb begann, vollzog sich in Westdeutschland eine gegenteilige Entwicklung. Seit 1963 sank in der damaligen Bundesrepublik die Zahl der auf der Schiene pro Person zurückgelegten Kilometer. Das Netz der Bundesautobahnen wuchs zwischen 1960 und 1980 von 2.551 Kilometern auf 6.435 Kilometer, das Bundesstraßennetz verlängerte sich von 25.100 Kilometern auf 32.500 Kilometer. Im gleichen Zeitraum wurden lediglich eine klassische Bahnstrecke um 13 Kilometer verlängert sowie 120 Kilometer S-Bahn-Strecken neu errichtet. Immer mehr Lokalstrecken wurden sogar stillgelegt.

In der Altersgruppe zwischen 20 und 45 Jahren wurde die Bahn kaum noch benutzt. Die Mehrheit der Fahrgäste waren Rentner, Hausfrauen, Schüler, Lehrlinge und Studenten. In den frühen achtziger Jahren waren in westdeutschen Regionalzügen im Schnitt weniger als 25 Prozent aller Plätze belegt. Ähnliches erlebte der Güterverkehr. So sank zwischen 1960 und 1980 der Anteil der Schiene am Gesamtverkehr von 53 auf 36 Prozent. Auf vielen Relationen reichte das Transportaufkommen nicht mehr aus, um einen ganzen Zugverband auslasten zu können.

Erst mit der Wiedervereinigung und dem Ausbau des ICE-Netzes ab 1991 eröffneten sich bessere Perspektiven. Im Verkehrswegeprojekt Deutsche Einheit war eine Erneuerung des Schienennetzes in den neuen Bundesländern und eine Schließung der zahlreichen Lücken vorgesehen, die durch die Teilung entstanden waren. Der Hauptakzent der Verkehrsprogramme lag aber auf dem Straßennetz. Lediglich auf den Neubaustrecken Köln-Rhein/Main und Nürnberg-Ingolstadt wird jetzt mit maximal 300 Kilometern pro Stunde das Niveau des französischen TGV-Zuges erreicht. Ansonsten muß sich der ICE die Strecken mit Regional- und Güterzügen teilen, was zum Teil die DB-Verspätungen erklärt. Der internationale Schienenverkehr wird – trotz EU-Binnenmarkt – weiter durch unterschiedliche Strom- und Signalsysteme ausgebremst. Mehrsystemloks und -züge sind teuer.

Im Personenverkehr versucht die Bahn seit den neunziger Jahren die Nachfrage mit Maßnahmen wie der „Bahncard“ zu erhöhen, die Stammkunden Rabatte von 25 bis 100 Prozent gewährt. Fahrgastverbände bemängeln aber die zunehmende Spezifizierung und die Intransparenz der DB-Angebote. Problematisch war zudem, daß sich der Blick der DB-Führung im Fernverkehr ausschließlich auf den kostspieligen ICE verengte. Der günstige Fernzug Interregio wurde abgeschafft.

Im Nahverkehr sollen Pauschalangebote wie das „Schöne Wochenende“ oder „Quer-durchs-Land“ und sogenannte Länder-Tickets sowie Tarifverbünde die Züge füllen, was tatsächlich in vielen Regionen gelang. Dennoch wird die Einstellung von Linien im Nahverkehr fortgesetzt. Diese Leistungen bleiben ein Stiefkind der DB. Daß es auch anders geht, beweist das fast lückenlose und komplett elektrifizierte Netz der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Auch die steuerliche Gleichbehandlung von Bahn und öffentlichem Nachverkehr mit dem Individualverkehr bis zu einer Gesamtsumme von 4.500 Euro im Jahr (Kilometerpauschale) dürfte der DB genutzt haben.

Nach dem Aus für die Magnetschwebebahn Transrapid sind in Deutschland vorerst keine revolutionären Innovationen zu erwarten, weder beim Streckennetz noch beim rollenden Material. Und das hat nicht nur finanzielle Gründe. Der Widerstand gegen das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ und die Neubaustrecke nach Ulm oder die Bahnanbindung des neuen Flughafens in Berlin offenbaren den schweren Stand, den selbst ein als „ökologisch“ eingestuftes Verkehrsmittel in Deutschland hat.

Exemplarisch sind die Verzögerungen beim „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Schiene Nr. 8.1“: Der Neu- und Ausbau der nur 190 Kilometer langen Strecke zwischen Nürnberg und Erfurt begann bereits 1996. Die rot-grüne Bundesregierung verfügte 1999 einen Baustopp, den sie 2002 wieder aufhob. Nun soll das Projekt frühestens Ende 2017 fertig sein. Bis dahin wird es nicht möglich sein, die ICE-Fahrzeit von Berlin nach München von derzeit knapp sechs auf unter vier Stunden zu senken. Hätte man auf das Shinkansen- oder TGV-Konzept (durchgehende Neubaustrecken) gesetzt, wären sogar weniger als drei Stunden möglich.

Bei den Zügen liegt der DB-Fokus vor allem auf Ersatzbeschaffungen. So werden die lokbespannten IC-Züge (teilweise schon seit 1971 im Einsatz) ab 2015 durch abgespeckte ICE-Neubauten ersetzt werden. Vor allem als Nachfolger für die Triebzüge ICE 1 und 2 aus den neunziger Jahren sollen zwischen 2018 und 2026 dann 80 bis 120 neue ICE-Züge in Betrieb gehen. Angesichts dessen müssen sich weder Auto- noch Flugzeughersteller Angst um ihre Zukunft in Deutschland machen.

 

Triebzüge – nur Fliegen ist schneller

Einst kamen die schnellsten Triebzüge aus Deutschland: 1903 fuhr ein AEG-Drehstromtriebwagen auf der Königlich Preußischen Militär-Eisenbahn südlich von Berlin mit 210 km/h den ersten Weltrekord ein. Im regulären Fahrplanbetrieb hatte der „Fliegende Hamburger“ ab 1933 zwischen Berlin und Hamburg mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 124 km/h die Nase vorne. 1936 war der SVT 137 durch eine Rekordfahrt mit 205 km/h der schnellste Dieseltriebzug. Heute wetteifern Europa und Asien: 1963 erreichte ein japanischer Shinkansen 256 km/h, 1979 waren es 319 km/h. 1981 kam ein französischer TGV auf 380 km/h. 1988 knackte dann ein deutscher ICE-Triebkopf mit 406,9 km/h eine Rekordmarke. Seit 2007 hält ein TGV mit 574,8 km/h den Geschwindigkeitsweltrekord – nur Fliegen ist schneller. Im regulären Fahrplanbetrieb liegt seit Oktober 2010 die Strecke zwischen Shanghai und Hangzhou mit maximal 350 km/h an der Welt­spitze. Der ICE 3MF erreicht auf der TGV-Strecke nach Paris eine Höchstgeschwindigkeit von 320 km/h. Er ist damit der momentan schnellste deutsche Zug.

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