© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Ein unbedachter Stich ins Wespennest
Afghanistan: Irrtümer des „Kriegs gegen den Terror“
Bernd Bredenkötter

Mehrere Inhaber deutscher Pässe wurden Anfang Oktober in der gottverlassenen pakistanischen Region Wasiristan von US-amerikanischen Drohnen getötet. Die Deutschen galten als islamistische Terroristen.

Wasiristan hat sich zum Schlupfwinkel für Dschihadisten aus aller Welt entwickelt. Wie es dazu kommen konnte, versucht das vor kurzem in deutscher Fassung erschienene Buch „Sturz ins Chaos“ von Ahmed Rashid zu klären. Der erfolgreiche pakistanische Journalist schildert die Geschichte der Taliban seit 2001, wobei er eine dezidiert pro-westliche Haltung einnimmt. Rashid beginnt seinen Bericht damit, wie der ihm persönlich bekannte Hamid Karzai nach dem 11. September 2001 aus dem pakistanischen Asyl zurückkehrte, um den Kampf gegen die Taliban aufzunehmen, die zuvor seinen Vater, einen paschtunischen Stammeshäuptling, ermordet hatten. Zeitgleich rückte die Nordallianz vor und nahm unterstützt von US-amerikanischen Luftangriffen Kabul ein. Die Amerikaner achteten ängstlich darauf, damals möglichst wenig eigene Bodentruppen einzusetzen, was laut Rashid vielen Taliban und al Qaida-Anhängern das Entkommen ermöglichte.

Inkonsequent war auch die Haltung der USA gegenüber Pakistan, spiegelte damit aber nur das doppelte Spiel Pakistans. Einerseits erlaubte die Regierung Pakistans den USA die Nutzung von Transportwegen und Flugfeldern, andererseits empfing der pakistanische Geheimdienst ISI die über die Grenze fliehenden Taliban mit offenen Armen. ISI betrachtete die Taliban weiterhin als seine Schöpfung. Die Taliban dienten ebenso wie andere islamistische Gruppen dazu, pakistanische Interessen durchzusetzen. Das galt für Afghanistan so wie für das mit Indien umstrittene Kaschmir. Das Sicherheitsinteresse der USA verstanden die pakistanischen Militärs unter dem Diktator Pervez Musharraf geschickt auszunutzen. Man präsentierte sich selbst als letztes Bollwerk gegen die Islamisten und inszenierte vor wichtigen Treffen mit US-Vertretern begrenzte Militäraktionen gegen sie. Als Dank flossen viele Milliarden Dollar amerikanischer Militärhilfe an Pakistan.

Die Verwaltungsstruktur Pakistans bietet den Taliban zusätzlichen Schutz. Neben vier Provinzen umfaßt Pakistan die „föderal verwalteten Stammesgebiete“ an der Grenze zu Afghanistan. Die – von Paschtunen besiedelten – Stammesgebiete haben seit britischer Zeit Sonderrechte und eine sehr weitgehende Autonomie. Entsprechend wenig Einfluß übt die pakistanische Hauptstadt Islamabad in ihren sieben Bezirken Süd- und Nordwasiristan, Kurram, Orakzai, Khyber, Mohmand und Bajaur aus. Aber nicht nur dort setzten sich die Taliban fest. Ihre Anführer haben sich südlich der Stammesgebiete in Quetta, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Belutschistan, und keine 200 Kilometer südlich der früheren afghanischen Taliban-Hochburg Kandahar versammelt. Sie wurden seit 2001 von der Provinzregierung Belutschistans unterstützt, die von der islamistischen Partei Jamiat Ulema-Islam (JUI) geführt wurde.

Seit 2003 sickerten die Taliban erneut in den Süden und Osten Afghanistans ein. Sie trafen kaum auf Widerstand. Daran änderte auch die Ausdehnung der Isaf nach 2004 von Kabul auf das ganze Land nichts, denn die Zahl der Soldaten war zu gering angesetzt. Eine besonders zweifelhafte Rolle bei den Isaf-Planungen spielte laut Rashid von 2001 bis 2005 der deutsche Außenminister Joschka Fischer. Fischer versprach deutsches Engagement für die Sicherheit in Afghanistan und drängte auf eine stärkere Rolle der Nato. Rashid urteilt, „Fischer benutzte deutsche Truppen als Köder für die Konstruktion einer neuen Rolle der Nato unter UN-Mandat.“ Außerdem berichtet er von einem Gespräch mit Nato-Botschaftern, die Fischer vorwarfen, „die Nato nach Afghanistan zu peitschen“. Die Gier Fischers nach weltpolitischem Einfluß ging mit seiner völligen Unkenntnis der Probleme in Afghanistan einher, weswegen der Afghanistan-Einsatz vollkommen unzureichend ausgestattet und geplant wurde.

Als die Isaf-Truppen 2006 im Süden des Landes aktiv wurden, hatten dort die Taliban schon die Kontrolle übernommen. Etliche Schlachten wie die um Musa Qala, Chora und Arghandab brachten nur flüchtige Besserung. Zugleich breiteten sich die Taliban in Pakistan aus, wobei sie sich mit anderen islamistischen Terrorgruppen verbündeten. In den Stammesgebieten errichteten die Taliban eine Terrorherrschaft und liquidierten die Familien von Ältesten, die sich gegen sie zu stellen wagten. Erst nachdem die Taliban außerhalb der Stammesgebiete aktiv wurden und das nahe der Hauptstadt gelegene Swat-Tal eroberten, schlug die pakistanische Armee zurück. Sie weigerte sich jedoch, in den Stammesgebieten energisch vorzugehen; ebenso hält der Geheimdienst ISI weiterhin die Hand über islamistische Gruppen. Rashid vermutet resigniert,  „die Strategie der pakistanischen Armee, islamistische Extremisten gezielt zu benutzen, sowohl als Werkzeug im Arsenal ihrer Außenpolitik gegenüber Indien als auch zur Einflußnahme in Afghanistan, würde sich so bald nicht ändern“.

Ahmaed Rashid:  Sturz ins Chaos. Afghanistan, Pakistan und die Rückkehr der Taliban. C. W. Leske Verlag, Darmstadt 2010, broschiert, 340 Seiten, 19,90 Euro

Foto: Versammlung von Paschtunenführern in der afghanischen Stadt Kandahar im Juni 2010: Großer Einfluß in den Stammesgebieten der pakistanischen Provinz Belutschistan

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