© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Wikileaks
Aufmischen als Hauptsache
Rolf Dressler

Julian Assange – zumindest für den Augenblick wird man sich den Namen dieser schillernden Figur wohl zwangsläufig merken müssen. Denn so viel Staub wie der Erfinder des „Whistleblower“-Internetportals Wikileaks hat in jüngerer Zeit kaum jemand aufgewirbelt auf der Riesenbühne des Medienwelttheaters. Daß Assange, der zwielichtige und womöglich gar kriminelle Enthüller, obendrein auch als Vergewaltiger verdächtigt wird, verschafft seinem „Fall“, wenn es denn ein solcher ist, medientypisch noch einen Extradreh, den sogenannten „Overkick“.

Doch was eigentlich ist wirklich neu, besonders bedrohlich und verwerflich an dem Tun und Treiben von Wikileaks? Auch diesmal dürfte die ganz große Aufregung sich schon alsbald wieder verflüchtigen. Denn mit Sicherheit werden andere findige Geschäftemacher und Medienkrawallos nachlegen. Ob unter dem Deckmäntelchen eines Informationsauftrages von eigenen Gnaden oder, kaum verhüllt, mit dem Ziel, die Politik aufzumischen. Ob die Späherplattform Google Street View, Selbstentblößungsportale à la Facebook und jetzt eben Wikileaks – Abermillionen Menschen stürzen sich freiwillig, arglos und bedenkenfrei auf jedes neue Angebot.

Selbst plausible und eindringliche Warnungen und Mahnungen werden wohl genauso wie einst in den siebziger Jahren verpuffen. Datenmüll und Info-Smog? Die Einsamkeit bereits der Kleinsten vor der Fernsehflimmerkiste? Brutalste Gewalt- und Killerspiele? „Kein Problem“, tönen angebliche Experten bis heute – jeder tatsächlichen Erfahrung zum Trotz. In Wahrheit hat schon das (von Erwachsenen produzierte) Fernsehen den nachwachsenden Generationen in weiten Teilen die Kindheit geraubt.

Leider vollzog sich die Entwicklung exakt so, wie es der amerikanische Soziologe Neil Postman in seinem Buch „Das Verschwinden der Kindheit“ und die Journalistin Marie Winn in ihrer Beschreibung des Fernsehens als „Droge im Wohnzimmer“ bereits vor 40 Jahren vorhergesagt hatten. Doch schon überspringen wir die nächsten Steigerungsstufen. Denn nun kann jedermann praktisch alles und jeden „ins Netz“ stellen – gleichviel, ob wohlmeinend oder schwindlerisch, in staatszersetzender oder volks- und wählerverdummender Absicht. Wer das kritisch anmerkt, ist mitnichten ein Kulturbremser. Im Gegenteil.

 

Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld und ist nun freier Journalist

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen