© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Rufmord aus dem Bauch heraus
Bundeswehr: Der SPD-Politiker Peter Struck rühmt sich in seinen Memoiren der Entlassung des Generals
Reinhard Günzel

Folgt man dem Vorbild der Bundeskanzlerin in der Sarrazin-Debatte, dann muß man keine Bücher mehr lesen, bevor man sie verreißt. Unter den aktuellen Politiker-Memoiren gehören die des ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden und Verteidigungsministers Peter Struck („So läuft das: Politik mit Ecken und Kanten“) tatsächlich nicht zu den besonders lesenswerten.

Dabei wirkte Struck als Verteidigungsminister von 2002 bis 2005 gemessen an Vorgänger und Nachfolger, Scharping (SPD) und Jung (CDU), sogar leicht herausragend. Mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien und einer weiteren Verkleinerung der Bundeswehr hat er einen ersten Wandel von der Abschreckungs- zur „Einsatzarmee“ eingeleitet. Sein Satz „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt“ ist strategische Gebetsformel geworden und hat ihn unter seinesgleichen unsterblich gemacht.

„Ecken und Kanten“ findet man in den Memoiren Strucks eher nicht. Es sei, man hält Direktheit und Ruhrpott-Charme eines typischen Machtpolitikers schon für Zivilcourage. Wie alle neu antretenden Verteidigungsminister, ganz besonders die der SPD, ist er überrascht von der vorbehaltlosen Ergebenheit der Generalität („große Loyalität“) und genießt die Attribute der Macht, die der militärische Apparat suggeriert. Nicht ohne Geschick führt er das Amt, gegen das er sich anfangs gesträubt hat, zusammen mit dem auch parteipolitisch kongenialen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan. Bei aller Jovialität im Umgang mit den Soldaten bleibt Struck aber auch als Inhaber des Oberbefehls immer geschickter Funktionär der SPD.

Wirklich unvergessen bleibt sein schäbiges Verhalten als oberster Vorgesetzter bei der Entlassung des Kommandeurs der Spezialkräfte, Brigadegeneral Reinhard Günzel, und die Tilgung des Namens „Mölders“ vom Ärmelband des Jagdgeschwaders 74. Als ehemaliger Freiwilliger der Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg war das weltweit hoch angesehene Flieger-As für die vereinte Linke ein rotes Tuch. Selbst die bekannte Distanz des streng katholischen Oberst Werner Mölders zum Nationalsozialismus half nicht. Wo Beweise fehlten, schob das Militärgeschichtliche Forschungsamt belastende Argumente nach. Struck berichtet, er sei anschließend „mit Protestbriefen überschüttet“ und bei jeder Gelegenheit kritisch angegangen worden. Das habe ihn aber nur in seiner Haltung bestärken können, die Traditionslinien aus der Wehrmacht zu kappen.

Das andere „Ruhmesblatt“ in Strucks Memoiren ist die Erledigung des Generals Reinhard Günzel, „aus dem Bauch heraus“ und binnen „zweieinhalb Stunden“. Was war der Anlaß? Der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann hatte 2003 zum Tag der Deutschen Einheit eine Rede gehalten, in der er sich gegen die Abstempelung der Deutschen als „Tätervolk“ wehrte. Mit gleicher (unsinniger) Berechtigung, so seine Argumentation, könne man angesichts des hohen Anteils jüdischer Funktionäre am bolschewistischen Terror auch von einem „jüdischen Tätervolk“ reden. Auch wenn die Aussage plausibel war, reichte allein die Wortbildung „jüdisches Tätervolk“ für einen gezielten Sturm der Entrüstung aus, dem schließlich auch Brigadegeneral Günzel zum Opfer fiel. Dieser hatte von Hohmann den Text erhalten und sich dafür mit lobenden Worten bedankt. Dieses Schreiben mit dem Briefkopf „Kommando Spezialkräfte“ entdeckte ein Fernsehteam auf dem Schreibtisch Hohmanns.

Obwohl es keine Spur eines Dienstvergehens von Seiten Günzels gab, entließ Struck den unbescholtenen General ohne ernsthafte Ermittlung und ohne ihn anzuhören, beleidigte ihn in der Öffentlichkeit („ein verwirrter General“) und sorgte dafür, daß auf der Entlassungsurkunde die obligate Dankesformel für die 41 Dienstjahre fehlte. Mit aller Niedertracht, zu der der Jurist und Parteifunktionär Struck fähig war, sollte der – gesetzeswidrige – Eindruck einer „unehrenhaften“ Entlassung in der Öffentlichkeit suggeriert werden. Die matten Versuche der Heeresführung, diesen Eindruck zu korrigieren, sieht er auch heute noch als Zeichen „falsch verstandener Kameradschaft“.

Auch „beim Kommando Spezialkräfte rumorte es“, mußte Struck zugeben. Ein von ihm handverlesener Kommandeur-Nachfolger, heute mit drei goldenen Sternen belohnt, schämte sich nicht, eine streng private Verabschiedungsfeier der Truppe für den beliebten Kommandeur nach Kräften zu verhindern, allerdings vergeblich. Auch die übrigen Generalskameraden, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, verhielten sich systemkonform. Dem unmittelbar vorgesetzten Divisionskommandeur, heute zum Befehlshaber des Einsatzführungskommandos aufgestiegen, war Günzel nicht einmal mehr einen Händedruck wert. Von der Truppe und auch der Bevölkerung erhielt General Günzel waschkörbeweise zustimmende und aufmunternde Post – aber die Generalsriege kannte ihn plötzlich nicht mehr. Eine militärische Führung, die so wenig Selbstachtung und Rückgrat gegenüber politischer Instrumentalisierung zeigt, und die ihre Uniform mehr als Livree versteht, forderte eine respektlose Behandlung durch die politische Klasse geradezu heraus.

Vielleicht hat der langjährige Generalinspekteur Schneiderhan, der in der Causa Günzel die Mitverantwortung trug, bei seiner ebenfalls recht flotten Entlassung durch Karl-Theodor zu Guttenberg auch kurz an den von ihm im Stich gelassenen Brigadegeneral Günzel gedacht?

Peter Struck: So läuft das: Politik mit Ecken und Kanten. Propyläen Verlag, Berlin 2010, gebunden, 320 Seiten, 19,95 Euro.

Fotos: Peter Struck 2009 als SPD-Fraktionsvorsitzender in Afghanistan: Auch als Oberbefehlshaber der Bundeswehr bleibt er immer Funktionär der SPD, Reinhard Günzel (l.), Martin Hohmann: Händedruck verweigert

 

Opfer einer politischen Rechtsprechung
(ms)

Der Fall des einstigen CDU-Bundestagsabgeordneten Marin Hohmann, der aufgrund einer Falschmeldung der ARD über eine von ihm am 3. Oktober 2003 gehaltene angeblich antisemitische Rede politisch erledigt wurde, wirkt bis heute nach. Daß die im Zusammenspiel von Medien und Politik erfolgte öffentliche „Hinrichtung“ Hohmanns nicht in Vergessenheit gerät, ist dem 2006 verstorbenen früheren ZDF-Journalisten Fritz Schenk zu verdanken, der den Medien- und Rechtsskandal in der 2004 erstmals herausgegebenen Dokumentation „Der Fall Hohmann“ aufgearbeitet hat. Die nun erschienene dritte, überarbeitete und umfangreich erweiterte Ausgabe verantwortet das CDU-Mitglied Friedrich-Wilhelm Siebeke, der seiner Partei als Initiator der „Aktion Linkstrend stoppen“ seit Monaten Kopfschmerzen bereitet. Siebeke hatte als Mitglied des Bundesparteigerichts der CDU mit einem Sondervotum Partei für Hohmann ergriffen und listet nun detailliert die zahlreichen Verfahrensfehler auf, die den Fall Hohmann für Siebeke zu einem Beispiel für eine politische Rechtsprechung machen. Für alle, die die ganze Dimension des Skandals erfassen wollen, der viel über den Zustand der politischen Kultur in Deutschland aussagt, ist das Buch eine Plichtlekture.

Fritz Schenk/Friedrich-Wilhelm Siebeke: Der Fall Hohmann. Ein Deutscher Dreyfus. 3., überarbeitete und ergänzte Auflage, Universitas, München 2010, gebunden, 316 Seiten, 22 Euro.

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