© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

„Ihr habt hier keine Rechte“
Reportage: Im einst liberalen muslimischen Malaysia wird der Wind für Christen deutlich rauher
Hinrich Rohbohm

Eva sitzt im Starbucks-Café und tippt eifrig in ihr Notebook. Sie surft im Internet, hält per Messenger-Programm Kontakt zur Welt. Sie spricht mit ihren Freunden in Europa, Australien oder den Vereinigten Staaten. Die 27 Jahre alte leitende Angestellte im Marketing hat viele Freunde „da draußen in der Welt“. Sie mag das. Sie mag auch ihre Stadt, Kuala Lumpur. Insbesondere Tage wie diesen. Feierabend, im Café sitzen, sich ungezwungen unterhalten, real oder virtuell, Hauptsache reden.

Sie will auch über die Situation in ihrem Land reden. Über Malaysia. Die einst als äußerst liberal geltende parlamentarische Wahlmonarchie ist im Begriff, sich in einen „islamischen Gottesstaat zu verwandeln“, in dem „unsere Bürgerrechte auf dem Spiel stehen“, wie Eva sagt. Sie möchte nicht schlecht über ihr Land reden. Malaysia sei eine wirtschaftlich aufstrebende Nation, in der sie sich nach wie vor frei fühle. Besonders hier, in Bukit Bintang, dem von Chinesen dominierten Zentrum Kuala Lumpurs. Aber Eva ist Christin. Die zunehmende Islamisierung ihres Landes bereitet ihr Sorgen. „Wird mein Sohn hier auch noch so frei leben können?“ fragt sie sich. Gerüchte seien im Umlauf. Darüber, daß etwa die Parti Islam Se-Malaysia (PAS) beabsichtige, Muslime bei Gerichtsentscheidungen gegenüber Andersgläubigen zu bevorzugen. Eva spricht jetzt leiser. Die Unbekümmertheit ist fortgespült, auf ihrer Stirn haben sich ernste Falten gebildet.

Sie nickt. „Ja, ich weiß davon“, sagt sie. Gemeint sind die Brandanschläge auf vier christliche Kirchen in Kuala Lumpur Anfang dieses Jahres. Weil der katholischen Wochenzeitung Herald vor dem Obersten Gerichtshof des Landes das Recht zugesprochen worden war, Gott mit Allah zu übersetzen, war es zu Unruhen gekommen. Islamische Politiker, Geistliche und Akademiker beschuldigten die katholische Kirche, sie wolle mit dem Gebrauch des Wortes Allah Muslime zum christlichen Glauben bekehren. Die Auseinandersetzung eskalierte. Das Büro des Herald-Anwalts wurde verunstaltet, junge Muslime verübten mehrfach Brandanschläge auf christliche Kirchen. Allein vier Gotteshäuser waren in der Hauptstadt betroffen, die in einem Wohnort weiter außerhalb der Stadt befindliche Metro-Tabernake-Kirche brannte fast vollständig aus.

„Damals standen bei uns mehrere Sicherheitsbedienstete vor der Tür, um uns vor Anschlägen zu schützen“, erinnert sich eine ältere Aktivistin der Baptistengemeinde von Kuala Lumpur. Die Kirche hat ihren Sitz in Bukit Bintang. Ein großes weißes Kreuz hängt vor der mit kleinen blauen Kacheln verzierten Fassade des Gebäudes. Heute ist es nur noch ein Sicherheitsbediensteter, der vor dem Eingang nach dem Rechten sieht. Die Lage hat sich inzwischen wieder entspannt. „Hier spüren Sie noch wenig von der Islamisierung“, sagt die Aktivistin. Die Dominanz der Chinesen sowie die Anwesenheit von Touristen seien der Grund dafür, daß sich das Stadtzentrum sein liberales Flair bisher bewahren konnte. „Auf dem Land ist das ganz anders“, sagt sie. Dort sei von der rechtlichen Trennung von Staat und Kirche und der in der Verfassung verankerten Religionsfreiheit nichts mehr zu spüren, faktisch gelte dort die Scharia.

Wer eine nichtmuslimische Frau heirate und sie damit zum Islam konvertiere, erhalte in manchen Gegenden gar finanzielle Anreize dafür. „Drohungen gegenüber Christen sind keine Seltenheit. Wer nicht muslimischen Glaubens ist, wird in seinen Rechten beschnitten“, erzählt die Frau weiter. „Malaien werden von Geburt an zu Moslems erklärt. Jemand, der zum christlichen Glauben konvertieren möchte, hat es da nicht einfach.“ So müsse der Konvertit zunächst einen formellen Antrag auf Austritt aus dem Islam stellen. Anschließend müsse er sich in ein sogenanntes „Umerziehungszentrum“ begeben, in dem zumeist der Versuch unternommen würde, den Konvertiten doch noch vom Islam zu überzeugen. Nicht selten würde dort massiver Druck ausgeübt, die islamische Religionszugehörigkeit beizubehalten. Selbst wenn der Konvertit diesem Druck widerstehe, sei nicht ausgeschlossen, daß sein Antrag dennoch abgelehnt werde.

„Muslime können Spenden an islamische Gemeinden zu 100 Prozent von der Steuer absetzen“, berichtet die Frau weiter. Christen hätten dieses Recht dagegen nicht.

Doch es gibt auch andere Sichtweisen. In der katholischen St. Johns-Kathedrale von Bukit Nanas sitzt Dexter auf der Kirchbank und betet. Er ist gläubiger Christ. Doch benachteiligt sieht er sich nicht. „Malaysia ist nach wie vor ein sehr liberales Land. Ich fühle mich in meinem Glauben nicht eingeschränkt. Natürlich werden Christen verfolgt, aber das ist in Indonesien weitaus brutaler als bei uns“, sagt Dexter. Fanatiker gebe es immer. Aber die gebe es eben auf beiden Seiten. „Wenn ich hier bei uns amerikanische Missionare sehe, die Muslimen erzählen, ihre Religion sei des Teufels und wenn sie nicht konvertierten, kämen sie in die Hölle, dann ist doch klar, daß die sich provoziert fühlen“, erzählt Dexter über eine Begebenheit, die er in Kuala Lumpur erst kürzlich selbst erlebt habe.

Für Dexter seien es gerade solche Provokationen, die dazu geführt hätten, daß junge Muslime im Januar dieses Jahres durch die Stadt zogen und mehrere Kirchen in Brand setzten. „Und die sind für ihre Taten ja auch zu Haftstrafen verurteilt worden. Also funktioniert unser Rechtssystem doch“, argumentiert er. Man dürfe sich von dem Haß, der von christlichen als auch muslimischen Fanatikern entfacht werde, nicht anstecken lassen, meint Stefan, ein Nachfahre portugiesischer Kolonisten, der genau wie Dexter regelmäßig in die Kathedrale zum Beten kommt. Dexter holt eine Art Anleitungsbuch für Gottesdienste hervor. In einem in Bahasa verfaßten Text zeigt er auf ein Wort: Allah. „Wir haben Allah schon immer als Gottesbezug benutzt. Daran sehen Sie, daß der ganze Konflikt zwischen Moslems und Christen bewußt herbeigeredet wurde“, erklärt er.

Stefan und Dexter waren gemeinsam in Bahrain. Dort werde die Kirche sogar finanziell unterstützt, obwohl das Land muslimisch geprägt sei. „Und auch wir kommen hier mit den anderen Religionen bestens klar“, sagt Stefan. „Malaysia ist ein wirtschaftlich aufstrebendes Land mit einer strategisch bedeutungsvollen geographischen Lage“, meint er. Zudem stehe das Land nicht wie andere Nationen Südostasiens unter dem Einfluß der Vereinigten Staaten. Daher hätten die Amerikaner ein Interesse daran, den Staat zu destabilisieren, um ihn unter ihre Kontrolle zu bekommen. Westliche Medien hätten dazu mit ihrer negativen Berichterstattung maßgeblich beigetragen, sind beide überzeugt.

Ob die Schilderungen der beiden Katholiken den Tatsachen entsprechen oder lediglich Aussagen sind, um sich vor möglichen Repressalien zu schützen, läßt sich schwer beantworten. Die einheimische Presse wird seitens des Staates kontrolliert, bei der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ rangiert Malaysia bezüglich der Pressefreiheit auf Platz 131 von 151 bewerteten Staaten. Nicht wenige erzählen, daß sie von Brandanschlägen auf Kirchen in Kuala Lumpur noch nie etwas gehört hätten.

Dagegen verweisen jedoch zahlreiche Chinesen, Inder wie auch Malaien immer wieder auf die Liberalität ihres Landes. Tatsächlich könnte es auf den ersten Blick gesehen kaum friedlicher sein. Da sind die zahlreichen chinesischen Schnellrestaurants in der Jalan Alor, einer Parallelstraße zur Flaniermeile Jalan Bukit Bintang, wo einem der Duft frischer Durians in die Nase steigt. Da sind die riesigen Einkaufstempel, die Touristen wie Einheimische in ihren Bann schlagen. Inder, Chinesen und Malaien prägen das Stadtbild, ergänzt durch Touristen aus Europa. Aber auch eine zunehmende Zahl von muslimischen Frauen mit Kopftuch sind zu sehen. „Vor zehn Jahren war das noch selten“, sagt Eva. Mittlerweile aber sei dieses Bild in Kuala Lumpur Normalität.

Wer mit radikaleren Moslems ins Gespräch kommen will, der muß sich in Kuala Lumpur jenseits der touristischen Trampelpfade auf die Suche machen. Nachts, wenn sich die Touristen in ihre Unterkünfte oder zum Dinner in die zahlreichen Restaurants begeben haben, erklingt aus den Seitenstraßen abseits des Massenkonsums orientalische Musik. Eine schmale, verschmutzte Treppe an einem unscheinbaren Gebäude in einer dieser ebenfalls unscheinbaren Seitengassen führt in den ersten Stock. Hier sitzt ein halbes Dutzend junger Männer mit dunkler Hautfarbe und schwarzen Haaren. Sie tragen Bärte, die einen länger, die anderen kürzer. Sie rauchen Wasserpfeife, liegen auf mit reichlich Kissen ausgestatteten Sofas und lauschen der lauten Musik. Sie sprechen englisch, mustern einen mit einem teils fragenden, teils argwöhnischen Blick. Ihre Stimmen sind ruhig, entspannt. Smalltalk entsteht.

Als das Gespräch sich zum Thema Christen und den Brandanschlägen auf die Kirchen hinwendet, ist davon nichts mehr zu spüren. Es wird laut. Vorbei ist es mit der entspannten Atmosphäre, die Stimmen überschlagen sich, das Englisch wird undeutlicher, die Worte aggressiver. „Ihr habt hier keine Rechte, das ist unser Land“, wird einer von ihnen am deutlichsten. Das Gespräch muß enden, zu sehr droht die Situation zu eskalieren. Es ist ein kurzer Einblick in die andere Seite Malaysias. Die radikale Seite.

 

Malaysia

In der zum Commonwealth gehörenden südostasiatischen Wahlmonarchie leben etwa 27,7 Millionen Menschen. Malaysia besteht aus 13 Bundesstaaten, davon 9 Sultanate. Der Islam ist Staatsreligion, in der Verfassung wird Religionsfreiheit garantiert. Laut der letzten Volkszählung (2000) sind 60,5 Prozent der Bewohner Moslems (mehrheitlich Sunniten). 19,2 Prozent bekennen sich zum Buddhismus, 9,1 Prozent sind Christen. Sie sind mehrheitlich ethnische Chinesen, die mit 26 Prozent die größte Minderheit im Land stellen. 850.000 Malaysier gehören der katholischen Kirche an. Laut der „Hilfsaktion Märtyrerkirche“ drohen Christen zwei Jahre Gefängnis, wenn sie mit Moslems über Jesus reden.

Foto: Gläubige beten in der katholischen St. John’ s Kathedrale in Kuala Lumpur: Anfang des Jahres wurden zahlreiche Kirchen angegriffen

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