© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Aus seinen Werken spricht die Liebe zur Natur
Musik: Zur Erinnerung an den US-Komponisten Edward MacDowell
Wiebke Dethlefs

Edward MacDowell war nicht nur der bedeutendste Komponist Nordamerikas im 19. Jahrhundert, er war auch derjenige Musiker dieses Kontinents, der mit einer größeren Anzahl von Kompositionen in Europa gespielt wurde und zu Beginn des 20. Jahrhunderts dort sogar Fuß faßte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geriet er aber in Europa in Vergessenheit, während er im Konzertleben der USA immer noch eine sehr große Rolle spielt. Insbesondere sind seine suggestiven Klavierminiaturen (mit so phantastischen Titeln wie „With Sweet Lavender“, „From a Wandering Iceberg“ oder „Nautilus“) dort geliebt und oft gespielt.

Der in New York am 18. Dezember 1860 geborene Komponist besaß schottisch-irische Vorfahren. Früh begann er mit Klavierlektionen und ging 16jährig an das Pariser Konservatorium und 1878 nach Deutschland, wo er in Frankfurt am Main Schüler von Joachim Raff war und 1881 in Darmstadt selber als Klavierlehrer tätig wurde. Sein erstes Klavierkonzert – etwas blaß in der Thematik, doch äußerst pompös – spielte er 1882 in Weimar Franz Liszt vor, der über MacDowells Schaffen voll Lobes war.

Die damals weltberühmte venezolanische Pianistin Teresa Carreño, bei der er noch in New York bisweilen Unterricht genossen hatte, brachte inzwischen mit großem Erfolg viele seiner Klavierwerke in Amerika zur Aufführung. MacDowells Ruhm stieg stetig an. 1888 ging er zurück in sein Heimatland, wo nun für ihn in Boston eine erfüllte Zeit als Komponist und Lehrer begann. Als 1896 an der New Yorker Columbia University eine Professur für Musik eingerichtet wurde, bot man diese sogleich MacDowell an, der bereits als „greatest musical genius America has produced“, wie die Presse schrieb, landesweit geehrt wurde. In Peterborough, New Hampshire, bezog er mit seiner Frau eine Farm, wo auch alle Kompositionen dieser Jahre entstanden. Doch zermürbten seine Arbeit universitäre Querelen, so daß er 1904 die Stelle kündigte.

Eine plötzlich aufgetretene Hirnkrankheit ließ den Komponisten die letzten beiden Lebensjahre halb wachend, doch nicht ansprechbar dahindämmern. Am 23. Januar 1908 starb er. Die Farm wurde von seiner Witwe stiftungsähnlich zu einer Art Kolonie umgestaltet, wo Musiker und Dichter in Ruhe ihrem Schaffen leben können (www.macdowellcolony.org).

Zu MacDowells bedeutendsten Werken zählen zwei Klavierkonzerte, symphonische Dichtungen (Hamlet, Ophelia, Lancelot und Elaine), die „Indian Suite“, op. 48, mit ihrer Verwendung indianischer Volksmelodien, die als Antwort auf Dvoráks kurz davor entstandene Symphonie „Aus der Neuen Welt“ geschaffen wurde. Dennoch lehnte er Folklore in der Kunstmusik als „Kostümierung“ ab. Für ihn zählte nur die eigene Kreativität und Personalität, wie er selbst es ausdrückte.

In Deutschland schätzte man ihn vor 1914 durch die Vertonungen von Gedichten Heines und Goethes. MacDowells Lieder setzten die Liedtradition Schumanns und Brahms’ fort. Sein bestes gab er in den zahllosen Klavierminiaturen, die unter den Titeln „Wood-land Sketches“, op. 51, „Sea Pieces“, op. 55, „Fireside Tales“, op. 61, „New England Idyls“, op. 62 und anderen zusammengefaßt sind. Die Liebe zur Natur, zu Wäldern und zum Meer spiegelt sich in diesen Werken. Unüberhörbar ist hier (wie in den meisten Werken des Komponisten) die Bewunderung für Grieg und dessen spröde dissonanzenreiche Harmonik. Allerdings ist MacDowell im Klaviersatz und der melodisch-rhythmischen Erfindung weitaus phantasievoller als der norwegische Meister. Und unüberhörbar ist vor allem der etwas sentimentale, amerikanische Volkston, den es so vor MacDowell nicht gegeben hat. „To a Water-lily“ aus op. 51 nimmt Debussy (La Cathédrale engloutie) vorweg. „To a Wild Rose“, auch aus op. 51, ist ein wunderbar einfaches, doch melodisch und harmonisch sehr individuelles Stück und hat seine große Beliebtheit beibehalten.

MacDowells Lieder und sämtliche Klavierwerke sind beim Label Naxos erhältlich, die Orchesterwerke liegen ebenfalls alle auf Tonträgern vor. Als Hörempfehlung: Klavierwerke Vol. 1 (Naxos, 8.559 010), mit dem Pianisten James Barbagallo.

www.macdowellcolony.org  www.naxos.com 

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