© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Geschichte zum Anfassen
JF-Serie Rekonstruktionen (4. Folge): Der Bismarckturm in Frankfurt/Oder kann aus Geldmangel nur schrittweise wiedererrichtet werden
Claus-M. Wolfschlag

Seit 1868 errichteten patriotische Bürger sogenannte Bismarckdenkmäler zu Ehren des Eisernen Kanzlers. Das monumentale, 1896 enthüllte Hamburger Denkmal von Hugo Lederer dürfte das bekannteste seiner Art sein. Neben den traditionellen Denkmälern bildete sich der spezifische Typus des Bismarckturms heraus. Von einst 240 gebauten Bismarcktürmen sind heute noch 173 erhalten, davon 146 auf dem Territorium der Bundesrepublik. Diese reichen von großen Anlagen wie der am Starnberger See, hohen, teils neogotischen Türmen wie denen in Glauchau oder Memmingen bis zu schlichten metallenen Aussichtsgerüsten wie dem „Eisernen Anton“ in Bielefeld.

Den häufigsten Prototyp des Bismarckturms schuf 1899 der rheinländische Architekt Wilhelm Kreis im Rahmen eines Wettbewerbs für die „Deutsche Studentenschaft“. Sein Modell „Götterdämmerung“, eine Art wuchtig-gedrungenes Mahnmal in Naturstein, mit Feuerschale an seiner Spitze, wurde bis 1911 47mal errichtet, zum Beispiel in Stuttgart.

Zahlreiche Bismarcktürme wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurden für Erzsammlungen eingeschmolzen oder in der Nachkriegszeit abgerissen. Viele allerdings haben sich auch erhalten, wurden und werden vor allem seit der Wiedervereinigung liebevoll saniert. Die Internetseite bismarcktuerme.de gibt detailliert Auskunft darüber.

Ein besonderes Exemplar, das vor acht Jahren nur knapp dem Abriß entging und nun rekonstruiert wird, ist der Bismarckturm in Lichtenberg, einem kleinen Stadtteil von Frankfurt an der Oder. 1906 ließ der örtliche Gutsherr den Turm auf den Resten einer 1694 erbauten Windmühle errichten. Mit einer Höhe von nur fünf Metern dürfte es sich um einen der kleinsten und schlichtesten Bismarcktürme handeln. Durch Kriegshandlungen wurde das Gebäude beschädigt, nicht wieder repariert und verfiel im Laufe der Jahre. Zeitweise wurde der Turm zum Kadaverhaus für eingegangenes Vieh degradiert. 2001 stand nur noch die Hälfte der Außenwand aufrecht, das Flachdach mit Feuerschale fehlte. Die Ruine befand sich auf einem kleinen Grundstück unter Verwaltung der Nachfolgegesellschaft der Treuhand, die die Mauerreste abreißen wollte.

Doch nun regte sich Widerstand in der 450 Seelen zählenden Dorfgemeinschaft. Ein Flugblatt mit der Aufschrift „Bürgerbeteiligung: Abriß des Bismarckturmes in Lichtenberg – NEIN !!!“ kursierte, in dem der Erhalt des „Wahrzeichens von Lichtenberg“ gefordert wurde. 98 Prozent der Einwohner sprachen sich in einer Unterschriftensammlung für den Erhalt des Gebäudes aus. Die Stadt Frankfurt an der Oder unterstützte schließlich die Bürger und kaufte das Grundstück. Karin Hohbein von der Unteren Denkmalschutzbehörde erklärt: „In Lichtenberg stehen nur die Kirche und Stallspeicher unter Denkmalschutz. Der Bismarckturm gilt nicht als Denkmal, insofern erfolgt der Wiederaufbau nur aus Lokalpatriotismus und auf Eigeninitiative der Einwohner.“

„Die Stadt hat sich davon überzeugen lassen, daß der Turm für uns ein Stück Ortsgeschichte ist“, freut sich Ellen Thom. Die engagierte Ortsvorsteherin von Lichtenberg ist die Hauptaktive für den Erhalt des historischen Gebäudes.

2006 begann die Sanierung. Doch aus der zum hundertsten Jahrestag der Errichtung geplanten Fertigstellung wurde nichts, da aus Geldknappheit nur schrittweise gebaut werden kann. Feldsteine sind gesammelt, eine Fachfirma für Feldsteinbau führt die Maßnahme durch. Das Geld dafür wird allein von Frankfurter Bürgern gesammelt. 17.000 Euro wurden bislang verbaut, der Bau ist halb fertig. Etwa 15.000 Euro werden noch für den Mauerabschluß benötigt, wobei vor allem die Gerüstkosten zu Buche schlagen. Geplant ist bislang nur die Aufmauerung der Außenwände. Die anfangs erwogene Rekonstruktion des Flachdaches ist derzeit zu teuer. „Wir alle wollen, daß mit dem Aufbau ein Stück Geschichte erhalten bleibt. Wir benötigen im Dorf keinen weiteren Raum zur Nutzung. ‘Nur’ Geschichte soll anfaßbar werden“, erklärt Ellen Thom. „Keine Nutzung. Kein Dach. Das stemmen wir finanziell nicht.“

Spendenkontakt: Ellen Thom, Telefon: 03 35 / 5 21 21 55, E-Post: ellen.thom@gmx.de www.bismarcktuerme.de

Foto: Bismarckturm in Frankfurt/Oder: Etwa 15.000 Euro fehlen

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