© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Antisemit als Kampfbegriff
Moshe Zuckermann über unfaire Riten im Diskurs
Thorsten Hinz

Es ist ein Buch der Sorge und des Zorns, das der israelische Historiker und Philosoph Moshe Zuckermann verfaßt hat. Der Zorn richtet sich gegen die politische Instrumentalisierung des Holocaust (Shoah), aber auch gegen die „braven Gutmenschen und enthusiasmierten Solidarisierer“, die jede Gegenrede als Antisemitismus oder Ausdruck jüdischen Selbsthasses verdammen. Im ersten Teil des Buches geht es um Israel, im zweiten um Deutschland, das sich – auf der offiziellen Ebene – von allen Ländern den israelischen Standpunkt am meisten zu eigen gemacht hat.

Zuckermann gehört in seinem Land zu den profilierten linken Regierungskritikern. Er scheut sich nicht, den amtierenden Außenminister Avigdor Lieberman einen „Rassisten“ und „Faschisten“ und das israelische Finanzministerium den „größten Dieb der Gelder der Shoah-Überlebenden“ zu nennen. Nicht weniger hart geht er den Zentralrat der Juden in Deutschland und den „zensorisch-paranoiden Diskurs des deutsch-jüdischen Establishments“ an. Vom Generalsekretär Stephan Kramer hält Zuckermann: gar nichts, da er und der Zentralrat „den Antisemitismus-Vorwurf ihres nur in Deutschland ihnen ermöglichten politischen Kapitals immer wieder instrumentalisieren“. Ähnliches gilt für den Publizisten Henryk M. Broder, der jüdische Kritik an Israel als verkappte Autoaggression diffamiert.

Zuckermanns Sorge ist es, daß der Kampf gegen einen halluzinierten Antisemitismus den echten Judenhaß anwachsen läßt und damit die Existenz Israels gefährdet und der Gebrauch des Holocaust zur Legitimierung politischer Ziele zu seiner Banalisierung und Entwertung führt. Bitterböse seziert er das „kitschbeseelte Pathos“, in das Politiker und Publizisten aus Israel und Deutschland verfallen, wenn die Rede auf die Judenverfolgung und die daraus zu ziehenden Lehren kommt. An seinem praktisch außergeschichtlichen Ausnahmecharakter zweifelt er indes nicht, die fällige Historisierung liegt außerhalb seines Blickfeldes. Doch eben die behauptete Exklusivstellung ist es, die zum politischen Mißbrauch einlädt. Zuckermann beschreibt einen Teufelskreis, in dem er letztlich gefangen bleibt.

Moshe Zuckermann: „Antisemit!“ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument. Promedia Verlag, Wien 2010, broschiert, 208 Seiten, 15,90 Euro

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