© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Der Flaneur
Baseballkappe
Martin Lichtmesz

Man ist ja schon daran gewöhnt, daß ältere Herren ihre Glatze nicht mehr mit klassischer Hutmode bedecken, sondern gerne diese günstigen, praktischen Baseballkappen tragen. Wie US-amerikanische Rentner in Florida.Der Konservative mag das bedauern, sei aber damit getröstet, daß die Senioren mit ihren Basecaps immerhin an den sympathisch ergrauten Baseballtrainer Buttermaker aus der 1980er-Jahre-Fernsehserie „Die Bären sind los“ erinnern. Hat schließlich auch was mit Tradition zu tun.

Der erwähnte Rentner trug aber nicht irgendeine Baseball-Schirmmütze. Auf seiner stand „Public Enemy“. War hier ein zorniger alter Mann auf einem Amoklauf gegen die Gesellschaft unterwegs? Eigentlich sah der ganz friedlich aus. Was wollte er mit der Selbstbezeichnung „Staatsfeind“ aussagen? Daß er Fan der linksextremen, schwarz-rassistischen, antisemitischen Hip-Hop-Gruppe gleichen Namens ist?

Wohl kaum, der Oldtimer war deutlich ein Weißer und sah auch sonst nicht nach Rapper aus. Wollte er aggressiv darauf hinweisen, daß er hier so stramm spazieren geht, um hundert Jahre alt zu werden und uns Steuerzahler für seine Rentenansprüche bluten zu lassen, bis wir quieken?

War er die Speerspitze des demographischen Wandels und gekommen, um die deutsche Alterspyramide auf den Kopf zu stellen? Oder war er sogar einer dieser deutschen Rüpel-Rentner, über die der Zeit-Föjetonist Jens Jessen urteilte, daß sie „den Ausländern hier das Leben zur Hölle machen“. Durch solche „Spießer“ entstünde eine „Atmosphäre der Intoleranz, vor deren Hintergrund man Gewalttaten spontaner Natur beachten muß“. Wollte mein Agent provocateur also jugendliche U-Bahn-Schläger provozieren?

Fragen über Fragen. Leider verschwand der alte „Staatsfeind“ über mein Sinnieren in seiner Behausung – der Psychiatrischen Klinik, die an den Stadtpark grenzt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen