© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Ungesunder Alkohol fürs Auto
Das Ökobenzin E10 führt zu höherem Verbrauch / Bei falscher Betankung drohen Motorschäden
Michael Manns

Wenn Sie im nächsten Jahr mit ihrem Auto vor der Tanksäule stehen, haben Sie die Qual der Wahl: Denn neben Diesel, Normal, Super, Super Plus hängt da auch eine Pistole, über der E10 oder E10 Plus steht. Die Bundesregierung führt neuen Biosprit ein und folgt dabei gehorsam EU-Vorgaben (JF 49/10).

E10 bezeichnet Kraftstoff, der gegenüber dem bisherigen Benzin einen höheren Anteil an Bio-Alkohol enthält. Das E steht für „Äthanol“ (C2H5OH), die Zahl „10“ gibt an, daß das Superbenzin bis zu zehn Prozent Äthanol enthalten kann. Bisher betrug der Äthanolanteil lediglich bis zu fünf Prozent. Das dem Benzin zwangsbeigemischte Äthanol wird aus Pflanzen gewonnen – der Sprit wächst quasi auf dem Acker.

Dies soll der Umwelt und dem Klimaschutz dienen sowie vor allem helfen, die Quoten für „Erneuerbare Energien“ im Energiekonzept der Bundesregierung zu erfüllen (JF 50/10). Außerdem soll so die Abhängigkeit vom Erdöl gesenkt werden. Das klingt vernünftig – doch es gibt eine Reihe von Knackpunkten. Der erste: Wie teuer wird das E10?

„Die Preisgestaltung obliegt den Kraftstoffanbietern und kann daher nur schwer vorhergesagt werden. Mit der Einführung von E10 kommen zusätzliche Kosten beispielsweise für die Herstellung von Bioäthanol und die Sicherung der Kraftstoffqualität auf die Kraftstoffanbieter zu“, erklärte das Bundesumweltministerium. Der ADAC warnte die Ölkonzerne bereits davor, die E10-Einführung für Preiserhöhungen zu nutzen: „Es gebe keinen Grund, aus der Umstellung auf den neuen Sprit ein Zusatzgeschäft zu machen.“ Doch selbst der mitgliederstärkste Automobilklub wird Preiserhöhungen nicht verhindern können.

Die zweite Frage ist: Vertragen alle Autos den neuen Biosprit? Laut ADAC haben neun von zehn Benzinfahrzeugen damit keine Probleme. Bei allen anderen könne aber schon eine einzige falsche Betankung zu Motor-, Pumpen- oder Leitungsschäden führen. Dazu zählen nicht nur wenig verkaufte Fahrzeuge von Citroën, Mitsubishi, Nissan, Seat oder Toyota, auch die VW-Modelle Lupo, Polo, Golf oder Touran mit FSI-Motor (bis Baujahr 2006) vertragen kein E10. Sie müssen weiterhin das „alte“ E5-Super tanken, das nach den derzeitigen Plänen auch nach 2013 zunächst weiter verkauft werden soll. Auch eventuelle Langzeitmotorschäden sind nicht auszuschließen. Ob das eigene Fahrzeug E10 verkraftet, sollte beim Hersteller erfragt werden, selbst Fachwerkstätten kennen sich noch nicht genau aus. Eine erste Liste E10-geeigneter Fahrzeuge hat die Deutsche Automobil Treuhand veröffentlicht. Sie enthält auch Servicenummern der Fahrzeughersteller, die angerufen werden können.

Gretchenfrage Nummer drei lautet: Verbraucht man mehr Sprit, wenn man E10 tankt? Leider ja, denn der Agraralkohol hat einen geringeren Energiegehalt. Der Heizwert von reinem Bioäthanol liegt mit 7.411 Kilowattstunden pro Tonne (kWh/t) sogar um mehr als 35 Prozent niedriger als beim Benzin mit 12.039 kWh/t. Das Umweltministerium spricht von weniger als zwei Prozent Mehrverbrauch. Doch durch eine energiesparende Fahrweise könne der Verbrauch um mehr ein Viertel sinken – ein uralter Ratschlag, der bei jeder Spritpreis­erhöhung hervorgeholt wird.

Es gibt allerdings auch Marktteilnehmer, die sich über E10 freuen. Die Biokraftstoffwirtschaft rechnet mit erheblichen Produktionssteigerungen beim Bioäthanol. Bislang wurden jährlich 600.000 Tonnen hergestellt. Der Deutsche Bauernverband (DBV) sieht in der Markteinführung von E10 eine wichtige Etappe, um das Regierungsziel von zehn Prozent Biosprit bis 2020 praktisch umzusetzen. Es sei wichtig, neben dem bewährten Standbein Biodiesel auch Bioäthanol weiter auszubauen.

Bei Umweltschützern wächst hingegen die Kritik an E10: „Mit der Erhöhung des Äthanolanteils steigt weltweit die Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungsmittel-, Futtermittel- und Agrokraftstoffproduktion an, ohne daß die Umwelt oder das Klima davon profitieren“, warnte der Naturschutzbund (Nabu). „Bis zum Jahr 2020 verursachen Äthanol und Biodiesel erhebliche Klimagasemissionen. Darüber hinaus ist für die Erreichung der EU-Biokraftstoffziele ein zusätzlicher Flächenbedarf in Höhe von bis zu 6,9 Millionen Hektar für Biomasse erforderlich“, so der Nabu. Eine Studie des Instituts für Europäische Umweltpolitik (IEEP) bestätigte die Befürchtungen hinsichtlich der Ökobilanz von derzeitigen Biokraftstoffen.

Wissenschaftler der Universität Bielefeld kritisierten, daß die Auswirkungen des Masseneinsatzes von Biodiesel und Bioäthanol noch nicht ausreichend untersucht seien. Bei Tests in Brasilien habe sich gezeigt, daß bei der Verbrennung von Äthanol sich Formaldehyd und Acetaldehyd bildeten. Aldehyde gelten als Vorläufer von Ozon (O3). Der Trisauerstoff kann in hohen Konzentrationen Atemwegsreizungen hervorrufen. Formaldehyd gilt zudem als krebserregend.

Für die Bielefelder Professorin Katharina Kohse-Höinghaus ist Brasilien, wo seit über 30 Jahren Bioäthanol aus Zuckerrohr hergestellt wird, ein Negativ-Beispiel. Dort fahren fast die Hälfte der Autos mit Biosprit: „Und es gibt da eine Luftqualität, die sieht so aus, daß die Grenzwerte praktisch jeden Tag überschritten werden.“ Selbst Hans-Josef Fell, der energiepolitische Sprecher der Grünen, fordert mehr Forschung zu E10: „Wir sollten bei Biokraftstoffen nicht den Weg des Erdöls gehen, wo über Jahrzehnte schlimme Schadstoffe ausgestoßen und erst hinterher Optimierungsprozesse gemacht wurden.“

Eine Liste E10-geeigneter Autos findet sich bei der Deutschen Automobil Treuhand: www.dat.de

 

Mit Vollgas zur Zerstörung

Das Institut für Europäische Umweltpolitik (IEEP) hat Äthanol und Biodiesel eine schlechte Ökobilanz attestiert. Wenn Biokraftstoffe ab 2020 9,5 Prozent des Energieverbrauchs im EU-Verkehrssektor ausmachten, würden 92 Prozent davon aus Nahrungspflanzen wie Ölsamen, Palmöl, Zuckerrohr, Zuckerrübe oder Weizen gewonnen werden. Wälder, Grünland und Torfflächen müßten weltweit in Agarflächen umgewandelt werden, warnt das IEEP. Bis zu 69.000 Quadratkilometer könnten betroffen sein – das entspricht der doppelten Fläche von Belgien. Der zusätzliche Ausstoß an Treibhausgasen durch Biokraftstoffe könne bis zu 56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent betragen. Das entspricht einem Mehr von 12 bis 26 Millionen Autos auf europäischen Straßen. Anstatt 35 bis 50 Prozent weniger Klimagase auszustoßen, würden die in der EU vermarkteten Biokraftstoffe 81 bis 167 Prozent schlechter für das Klima sein als fossile Kraftstoffe, so das IEEP.

Die Biosprit-Studie des IEEP: www.foeeurope.org

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen