© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Das Jahr der Rebellen
Ein Rückblick der „JUNGEN FREIHEIT“

Euro-Rettungsschirm, Steinbach-Streit oder Sarrazin-Debatte: Das nun zu Ende gehende Jahr geizte nicht mit kontroversen Themen. Deutschland gerät in Wallung. Jüngst kürte die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden – nicht nur mit Blick auf die Proteste gegen den Bahnhofsneubau in Stuttgart – den Begriff „Wutbürger“ zum Wort des Jahres.

Dabei war 2010 auffallend, daß es zahlreiche Mißstände in die Schlagzeilen und Hauptsendezeiten der Medien geschafft hatten, welche die JUNGE FREIHEIT schon seit langer Zeit thematisiert: die Risiken der europäischen Gemeinschaftswährung und das Demokratie-Defizit in Brüssel; die Mißstände in der Zuwanderungspolitik („Multikulti ist gescheitert“, so Kanzlerin Angela Merkel); das Fehlen einer demokratisch legitimierten konservativen Partei rechts der Union; die lange Zeit vernachlässigte Würdigung der (deutschen) Opfer von Flucht und Vertreibung oder die von Politik und Presse negierte Gefahr eines gewaltbereiten Linksextremismus. Das ist kein Grund, Genugtuung zu spüren, sondern eine Aufforderung, die Zeitläufte auch künftig kritisch und konstruktiv zu begleiten und zu analysieren.

Eines trübt den Blick zurück auf das Jahr 2010 mit Sicherheit: Noch nie wurden innerhalb eines Jahres so viele Bundeswehrangehörige im Kampf getötet. Acht Soldaten fielen 2010 bei Anschlägen oder Gefechten mit afghanischen Aufständischen (siehe nebenstehender Kasten). Selbst Regierungsmitglieder können nicht mehr länger leugnen, daß am Hindukusch Krieg geführt wird. Die Mehrheit der Deutschen hält diesen hohen Blutzoll ohnehin für nicht gerechtfertigt. Für unsere Soldaten im Einsatz ist zu hoffen, daß er im kommenden Jahr nicht weiter wachsen wird. (vo)

 

JANUAR

6. Januar: Die Forderung aus führenden Kreisen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, der christlich-konservative Publizist Helmut Matthies solle den „Gerhard-Löwenthal-Preis“ zurückgeben, ruft zahlreiche Proteste hervor. Matthies behält die Auszeichnung.

Am 10. Januar kritisieren vier führende Landespolitiker der Union in einem Zeitungsbeitrag den „präsidialen Stil“ Angela Merkels und fordern die Partei auf, mehr Profil zu wagen.

 

FEBRUAR

Am 10. Februar wird Stefan Mappus (CDU) als baden-württembergischer Ministerpräsident und Nachfolger des zum EU-Kommissar bestallten Günther Oettinger gewählt. Die Berufung der feministischen Theologin Regina Ammicht-Quinn als Staatsrätin für interkulturellen und -religiösen Dialog löst unter Konservativen Verwunderung aus.

11. Februar: Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, verzichtet auf ihren Sitz im Beirat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“.

Mit Zeitungsanzeigen starten Mitglieder von CDU und CSU am 14. Februar die Aktion „Linkstrend stoppen“: Die Union soll ihr konservatives Profil schärfen.

 

MÄRZ

25. März: In Brüssel einigen sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone auf einen „Rettungsschirm“ für das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland. Im Mai stimmt der Bundestag dem Euro-Stabilisierungsfonds mit Finanzhilfen in Höhe von mindestens 22 Milliarden Euro zu. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler sowie die „Vier Professoren“ reichen dagegen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ein.

 

APRIL

2. April: Die Bundeswehr steht nahe dem afghanischen Kundus im schwersten Gefecht ihrer Geschichte.

Am 27. April wählt der niedersächsische Landtag die türkischstämmige Hamburger CDU-Politikerin Aygül Özkan zur neuen Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration. Mit ihrer Aussage, christliche Symbole gehörten nicht in öffentliche Schulen, und der Forderung, die Medien sollten beim Thema Integration eine „kultursensible Sprache“ verwenden, löst die Moslemin erhebliche Irritationen aus.

 

MAI

Vor allem in Berlin und Hamburg kommt es in der Nacht zum 1. Mai wieder zu linksextremen Ausschreitungen.

Am 9. Mai verliert die schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen ihre Mehrheit. Nachfolgerin von Jürgen Rüttgers (CDU) wird Hannelore Kraft (SPD). Die Ministerpräsidentin führt eine rot-grüne Minderheitsregierung und läßt sich von der Linkspartei tolerieren.

12. Mai: Das tschechische Fernsehen strahlt den Dokumentarfilm „Töten auf tschechisch“ des Regisseurs David Vondráček über ein tschechisches Massaker an Deutschen im Mai 1945 aus.

17. Mai: Nach einer Messerattacke in einem Hamburger S-Bahnhof, die für einen 19jährigen Deutschen tödlich endet, nimmt die Polizei den 16 Jahre alten Intensivtäter Elias A. fest, einen Afghanen mit deutschem Paß. Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) fordert angesichts der Tat, alle Fakten müßten schonungslos genannt werden: „Und zur Wahrheit gehört eben auch, daß derartige Gewaltstraftaten von deutlich überproportional vielen Jugendlichen mit Migrationshintergrund verübt werden.“

27. Mai: Gabriele Pauli, ehemalige CSU-Rebellin, tritt im Streit als Vorsitzende der von ihr gegründeten Freien Union zurück.

Am 31. Mai tritt Horst Köhler „mit sofortiger Wirkung“ vom Amt des Bundespräsidenten zurück.

 

JUNI

Am 26. Juni werden in Hamburg fünf Polizisten verletzt, einer von ihnen schwer. Rund 30 Jugendliche, die zum großen Teil aus dem Nahen Osten bzw. dem arabischen Raum stammen, hatten die Beamten angegriffen.

30. Juni: Erst im dritten Wahlgang wird Christian Wulff (CDU) als Nachfolger für Horst Köhler zum Bundespräsidenten gewählt.

 

JULI

3. Juli: Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig wird tot in einem Waldstück gefunden. Die Juristin wurde wegen des von ihr angewandten „Neuköllner Modells“, einer konsequenten Strafverfolgung von jugendlichen Kriminellen, bundesweit bekannt.  Während offiziell Selbstmord als Todesursache feststeht, erzwingt der Enthüllungsjournalist Gerhard Wisnewski im November in einem Prozeß die Offenlegung der Untersuchungsergebnisse. Heisigs Buch „Das Ende der Geduld“ erscheint postum.

Der Volksentscheid zur Schulpolitik in Hamburg kippt am 18. Juli die schwarz-grüne Reform („Primarschule“). Am selben Tag erklärt der Erste Bürgermeister Ole von Beust  (CDU) seinen Rücktritt zum 25. August. Sein Nachfolger Christoph Ahlhaus (CDU) distanziert sich aufgrund des Drucks der Grünen von seiner Mitgliedschaft in einer Studentenverbindung. Ende November beendet die Grün-Alternative Liste die Koalition.

 

AUGUST

23. August: Der Bundesbank-Vorstand und ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) löst mit dem Vorabdruck seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ ein  immenses Medienecho aus. Sarrazin geißelt schonungslos das Versagen der deutschen Einwanderungspolitik und kritisiert wohlfahrtsstaatliche Auswüchse. Die Bundeskanzlerin bekennt, sein Buch nicht lesen zu wollen und kritisiert es dennoch als „nicht hilfreich“. Die SPD leitet ein (erneutes) Ausschlußverfahren gegen Sarrazin ein. Unterdessen würden 18 Prozent der Deutschen eine „Sarrazin-Partei“ wählen, wenn es sie gäbe. Nach einem Monat liegt die Gesamtauflage des Buches bei 650.000 Exemplaren. Es ist eines der erfolgreichsten deutschen Sachbücher.

Am 31. August wird der bisherige Innenminister Volker Bouffier zum Nachfolger des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch gewählt. Koch galt in der CDU als einer der letzten Vertreter des konservativen Flügels und Gegenspieler von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

 

SEPTEMBER

Am 7. September schließt die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus den Islamkritiker René Stadtkewitz aus. Stadtkewitz war 2009 aus der CDU ausgetreten, weil er sich in seiner Warnung vor einer zunehmenden Islamisierung in Deutschland von der Partei nicht ausreichend unterstützt fühlte. Er blieb jedoch Mitglied der Fraktion. Im Oktober gründet Stadtkewitz die neue Partei „Die Freiheit“.

Nach einem Streit am 8. September auf der Klausurtagung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bemängelt Erika Steinbach mangelnden Rückhalt in der Partei: Die BdV-Präsidentin erklärt, nicht mehr für das CDU-Präsidiun zu kandidieren, da sie dort nur eine „Alibi-Funktion“ erfülle.

21. September: Die Wochenzeitung Rheinischer Merkur wird in der bisherigen Form laut Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz eingestellt.

 

OKTOBER

1. Oktober: Die JUNGE FREIHEIT erscheint mit einer neuen Optik und erweitertem Umfang.

Am 2. Oktober spricht der niederländische Politiker und liberale Islamkritiker Geert Wilders auf einer Veranstaltung in Berlin. Die „politische Ideologie des Islam“ bedrohe die Demokratie und Prosperität Europas, so seine Warnung.

3. Oktober: Bundespräsident Christian Wulff stellt in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit fest:  „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Der CSU-Bundestagsabgeordntete Norbert Geis kritisiert Wulffs Gleichsetzung von Islam und Christentum als „mißverständlich“.

Bei der Kommunal- und Landtagswahl in Österreichs Hauptstadt Wien am 10. Oktober erzielt die FPÖ mit Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache 27 Prozent, beinahe doppelt soviel wie im Jahr 2005.

 

NOVEMBER

3. November: Bei den Wahlen zum amerikanischen Repräsentantenhaus erzielen die Republikaner die Mehrheit. In den Senat ziehen mehrere Kandidaten ein, die der konservativ-freiheitlichen Tea-Party-Bewegung angehören.

21. November: Auch Irland ist ein Fall für den 560 Milliarden Euro umfassenden „Rettungsschirm“.

Am 26. November stellt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) zwei Studien zur Gewalttätigkeit männlicher Einwanderer vor, die bei Körperverletzungsdelikten überrepräsentiert seien. Die Ministerin warnt vor „falschen Tabus“ und fordert einen verstärkten Kampf gegen Deutschenfeindlichkeit.

 

DEZEMBER

3. Dezember: Der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, fordert in seinem neuen Buch „Rettet unser Geld“ eine Zweiteilung der europäischen Währungsunion  in einen weichen Süd- und einen starken Nord-Euro.

Am 15. Dezember beschließt die Bundesregierung die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011. Die Bundeswehr soll um ein Viertel auf höchstens 185.000 Mann schrumpfen.

Foto: Ehrenmal in Berlin: Noch nie fielen in einem Jahr so viele Bundeswehrsoldaten

Unsere im Jahr 2010 in Afghanistan gefallenen Soldaten:

Hauptfeldwebel Nils Bruns, Jahrgang 1971, gefallen am 2. April 2010

Hauptgefreiter Robert Hartert, Jahrgang 1984, gefallen am 2. April 2010

Hauptgefreiter Martin Kadir Augustyniak, Jahrgang 1981, gefallen am 2. April 2010

Major Jörn Radloff, Jahrgang 1971, gefallen am 15. April 2010

Stabsunteroffizier Josef Kronawitter, Jahrgang 1985, gefallen am 15. April 2010

Oberstabsarzt Dr. Thomas Broer, Jahrgang 1976, gefallen am 15. April 2010

Hauptfeldwebel Marius Dubnicki, Jahrgang 1977, gefallen am 15. April 2010

Oberfeldwebel Florian Pauli, Jahrgang 1984, gefallen am 7. Oktober 2010

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen