© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Nicht mehr als ein Lächeln
Geschichtspolitik: Der Prag-Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer hat an der tschechischen Haltung zu den Beneš-Dekrete nichts geändert
Bernhard Knapstein

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat Anfang der Woche auf Einladung des tschechischen Premierministers Petr Necas einen offiziellen zweitägigen Besuch in Prag absolviert. Obwohl die  Beneš-Dekrete dabei offiziell nicht auf der Tagesordnung standen, waren sie allgegenwärtig.

Die Dekrete, die die Vertreibung der rund drei Millionen Sudetendeutschen 1945 aus Böhmen und Mähren legitimierten und sogar Mord und ganze Massaker rechtfertigten, stehen noch immer zwischen Deutschen und Tschechen. Für Menschenrechtler und Sudetendeutsche ist es ein unerträglicher Zustand, daß 65 Jahre nach Ende der Vertreibungsakte die Dekrete fortbestehen und die an Deutschen begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Prag weiterhin mit allen Mitteln hochoffiziell verteidigt werden. So haben die EU-Mitgliedsstaaten erst zu Jahresbeginn ein Zusatzprotokoll zur Grundrechtecharta akzeptiert, nach dem die Charta nicht als Rechtsgrundlage vor tschechischen Gerichten und dem EU-Gerichtshof herangezogen werden darf. Die Charta enthält in den Artikeln 19 und 21 das Vertreibungs- und Diskriminierungsverbot.

Die Sudetendeutschen, deren größter Teil sich in Bayern angesiedelt hat und die als vierter bayerischer Volksstamm gelten, unterstehen dem besonderen Schutz des Freistaats Bayern. Der bayerische Ministerpräsident ist Pate und irgendwie auch Bannerträger der Sudetendeutschen. Entsprechend deutlich war jahrzehntelang auch international der Verlauf der Unwetterfront zwischen Prag und München wahrnehmbar, jedenfalls in der sudetendeutschen
Frage.

Doch seit einiger Zeit setzt sich die tschechische Gesellschaft mit der Vertreibung der Deutschen zunehmend kritisch auseinander. Beeindruckende Belege der Verarbeitung tschechischer Verbrechen an den Sudetendeutschen sind der Dokumentarfilm „Töten auf tschechische Art“, die deutsch-tschechische Koproduktion des Spielfilms „Habermann“, das Theaterstück „Porta Apostolum“ und das Schauspiel „32 Stunden zwischen Hund und Wolf“ nach der gleichnamigen Novelle von Jan Tichý. Die Massaker an den Deutschen sind heute in der tschechischen Gesellschaft kein Tabuthema mehr, der Bestand der Beneš-Dekrete und ihrer Rechtsfolgen sind es aber schon. Seehofer fand zwar auf einer Pressekonferenz mit Premier Necas, die am Regierungssitz ausgerechnet am Edvard-Beneš-Kai stattfand, hinsichtlich der Dekrete: „Wir haben uns ehrlich ausgetauscht.“ Aber weder er noch Necas wagten es, die offenen Probleme und die Dekrete beim Namen zu nennen. Darüber hinaus konnte der Europaabgeordnete Bernd Posselt als Sprecher der Sudetendeutschen den Ministerpräsidenten zwar nach Prag begleiten, den politischen Gesprächen mit Premier Petr Necas mußte er aber fernbleiben. Zu mehr als einem Lächeln und einem Handschlag hatte es nicht gereicht.

Der tschechische Premier verweigert weiterhin den direkten Kontakt zu den Offiziellen der Landsmannschaft. Sowohl Seehofer als auch Sudetensprecher Posselt hatten schon vor der Delegationsreise nach Prag vor zu großen Hoffnungen gewarnt. Zu Recht, wie sich jetzt gezeigt hat.

Das Treffen des bayerischen Ministerpräsidenten und des tschechischen Regierungschefs mag auf dieser Augenhöhe erstmalig und daher historisch sein. „Das in den deutschen Medien vielzitierte Bild vom Ende der Eiszeit ist kaum angebracht“, urteilt indessen ein Vertriebenenvertreter. Die deutsch-polnischen Beziehungen kennen in der Tat ungleich geringere Berührungsängste mit Vertriebenenvertretern und sind insoweit um Jahre voraus. Vertriebenenpolitische Themen gegenüber der polnischen Politik anzusprechen, gilt als sensibel, aber nicht als „Belastung“, wie es die deutsch-tschechische Erklärung von 1997 formuliert. Im Ergebnis hat München jetzt auf höchster Ebene einen offiziellen Draht nach Prag entwickelt, mehr nicht.

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