© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Wunderwaffe gesucht
Währungskrise: Das Wa­ffenarsenal der Politik zur Rettung des Euro ist ausgereizt
Bernd-Thomas Ramb

Auf dem EU-Gipfel zur Euro-Rettung hat sich ein englisches Konzept durchgesetzt: Abwarten und Tee trinken. Der Euro-Rettungsschirm, der aus der aktuellen Notlage Griechenlands heraus hastig aufgespannt wurde, soll als Notlösung über das Jahr 2012 hinaus bestehenbleiben, nicht vergrößert werden und nur Unterschlupf bieten, wenn sonst ganz Euroland gefährdet ist. Weitreichendere und konkrete Vorhaben, wie der vom Luxemburger Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, vorgeschlagene gemeinsame Fonds, wurden nicht mehr erwähnt. Das entsprach dem Wunsch der Deutschen, möglichst wenig Anschein einer Transfergemeinschaft aufkommen zu lassen.

Aus gutem Grund, denn der Hauptfinanzier der Euro-Rettungsbemühungen soll nicht in verfassungsrechtliche Schwierigkeiten geraten. Noch steht das Urteil aus, das über die Rechtmäßigkeit der deutschen Beteiligung an den letzten Euro-Stützungsmaßnahmen entscheiden soll. Selbst wenn dies – wie zu erwarten – als einmalige Aktion abgesegnet wird, eine dauerhafte Unterstützung maroder Euro-Länder dürfte die Grenzen, die das Maastricht-Urteil des Verfassungsgerichts gezogen hat, endgültig verletzen. Die Ankündigung der EU-Runde, man wolle deshalb den Lissabon-Vertrag abändern, ist dem Damoklesschwert der deutschen Verfassung geschuldet.

Der EU-Vertrag muß neu ratifiziert werden

Damit wird jedoch ein neuer Konflikt geschaffen. Ist die Änderung des EU-Vertrags nur moderat, kann eine Wiederholung der mühsamen und risikobehafteten Ratifizierung durch die EU-Staaten vermieden werden. Moderate Änderungen dürften jedoch kaum das Euro-Scheitern aufhalten. Dazu bedarf es schwerer Geschütze, die wiederum den EU-Vertrag so stark abändern würden, daß eine neue Ratifizierungsrunde unumgänglich wird. Das Arsenal der möglichen Euro-Verteidigungswaffen ist überschaubar, die verfassungsrechtliche Problematik im einzelnen strittig, die unterschiedliche Auswirkung auf die Finanz- und Realwirtschaft dagegen durchaus erkennbar.

Bleibt der Euro-Währungsraum insgesamt bestehen, reduziert sich das Währungsproblem auf die Finanzierung der Schulden pleiteverdächtiger Teilnehmerstaaten. Deren Problem besteht schlicht darin, genügend Gläubiger ihrer Staatsschulden zu akzeptablen Zinssätzen zu finden. Inakzeptabel erscheint diesen Staaten vor allem eine Zinshöhe, die höher ist als die der anderen, weil der Finanzmarkt das Risiko einer Insolvenz höher einschätzt. Akzeptierten Griechenland und Konsorten die höheren Zinsen, wäre eigentlich alles in Ordnung. Pünktliche Bedienung der Schulden mit der vereinbarten Zinszahlung und Tilgungsfrist könnten das Vertrauen wiederherstellen und damit die Zinsen langfristig senken.

Der „Nachteil“ dieser marktgerechten Schuldenbehandlung ist ein verschärfter Zwang, den Staatshaushalt auszugleichen, besser noch Haushaltsüberschüsse zu erwirtschaften – entweder über höhere Steuern oder durch eine radikale Senkung der Staatsausgaben oder beides. Solche Maßnahmen sind für die Regierungen und für die steuerzahlenden bzw. für die Staatsleistungen empfangenden Bürger gleichermaßen unangenehm. Also wird die Solidarität der anderen Euro-Staaten eingefordert. Kreditbürgschaften (Euro-Rettungsschirm) verschaffen den kreditsuchenden Staaten Zinsvorteile, weil das Ausfallrisiko sinkt. Direkte Kredithilfen über Gemeinschaftsanleihen der Euro-Staaten (Euro-Bonds) bieten diesen Effekt ebenfalls. Nur ist hier die Zahlung der Helfer-Staaten sofort fällig, während bei der Bürgschaft eine Zahlung nur bei Insolvenz des Hilfesuchenden anfällt.

Der Zwang zu Einsparungen fällt weg

Sowohl die Haftungs- als auch die Anleihegemeinschaft führen jedoch mit der Absenkung der Zinsen der unterstützten Staaten gleichzeitig zu einem Zinsanstieg bei den Helfer-Staaten. Der Durchschnittswert der Zinssätze für Euro-Staatsanleihen wird dabei nicht unverändert bleiben, sondern ansteigen. Zum einen wegen des zunehmenden Zweifels, ob ein Währungsverband mit solchen Mitteln dauerhaft aufrechtzuerhalten ist. Zum anderen, weil dadurch die Kreditsumme nicht zwingend abgebaut, sondern eher ausgeweitet wird. Der Zwang zu schmerzhaften Einsparungen fällt weg. Wenn er von den Geberländern als Bedingung für die Hilfe gefordert wird, kommt es zu politischen Unruhen mit entsprechender Beeinträchtigung der Wirtschaft.

Eine Lösung, die dem realwirtschaftlichen Bezug des Geldes Rechnung trägt, wäre die Ausschließung der Problemländer aus dem Euro-Verbund. Die schwachen Länder werden sich dagegen wehren, weil dies nicht nur dem Renommee schadet, sondern auch die bequeme finanzielle Unterstützung beendet. Prekär ist auch die Abgrenzung der verbleibenden Mitglieder. Grundsätzlich ist jeder ein Kandidat für den nächsten Rauswurf – bis nur noch einer verbleibt.

Das Ab- oder Ausgrenzungsproblem löst sich auch nicht durch eine Zweiteilung des Euro-Währungsraums. Im Gegenteil, die Lagerbildung schafft eine neue politische Front. Das gilt insbesondere, wenn sich Deutschland einseitig aus der Währungsunion verabschiedet. Andererseits ist eine andere, bis heute unbekannte „Wunderwaffe“ zur Bekämpfung der Euro-Krise weder in Sicht, noch zu erwarten. Ein Wunder wäre es allerdings, wenn alle Beteiligten einmütig zu der Einsicht gelangten: Das Euro-Experiment ist gescheitert.

 

Zukunftsszenarien des Eurolandes

In der Öffentlichkeit werden fünf Zukunftsszenarien diskutiert:

1. Rückkehr der D-Mark. In der deutschen Bevölkerung ist diese Option mehrheitsfähig, in der politischen Klasse kaum. Die Vorteile liegen auf der Hand: keine Mithaftung für schwache Euroländer, eine unabhängige, preisstabile Geldpolitik, die über Deutschland hinaus wirkt. Allerdings würde der deutsche Export vermutlich teurer werden.

2. Rauswurf der Südländer aus der Eurozone. Wirtschaftlich schwache Staaten wie Griechenland könnten ihre Währung abwerten und dadurch die Exporte ankurbeln. Verluste für Anleger und ein Bankenansturm wären unangenehme Folgen.  Der Euro bliebe als Leitwährung erhalten.

3. Forderungsverzicht der Gläubiger von Schuldnerstaaten. Private Banken und Versicherer wären so an den Kosten für den Zahlungsausfall eines Staates beteiligt. Eine mögliche Destabilisierung des Bankenwesens spricht aber dagegen.

4. Transferunion. Die starken Euroländer stehen für die schwachen ein. Dafür geben sie weitere Souveränitätsrechte wie das Budgetrecht preis. Erste Schritte sind durch den neuen Krisenmechanismus getan; am Ende steht eine Euro-Wirtschaftsregierung.

5. Einführung eines Nord- und eines Süd-Euro. Frei schwankende Wechselkurse sorgen für Flexibilität. Der Nord- und Süd-Euro-Raum wäre homogen, Verwerfungen sind aber nicht ausgeschlossen (JF 51/10). 

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