© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Bekehrende Entgegnungen
Kritisch und fair: Das Interview mit Benedikt XVI. geht auf die Probleme in Kirche und Gesellschaft ein
Georg Alois Oblinger

Der große Ansturm auf das Interview-Buch mit Papst Benedikt XVI. unmittelbar nach dessen Erscheinen hat mehrere Gründe. Dazu mögen die Vorabveröffentlichungen mit der anschließenden Kondom-Diskussion beigetragen haben. Auch die Tatsache, daß Benedikt XVI. sich hier persönlich zur Krise in Kirche und Gesellschaft äußert, hat zweifellos ein großes Interesse geweckt. Nicht übersehen werden darf aber auch, daß sich erstmals ein Papst in einem direkten Interview den Fragen eines Journalisten stellt.

Daß sich das Oberhaupt der katholischen Kirche, die mit 1,2 Milliarden Menschen die weltweit größte Glaubensgemeinschaft darstellt, dazu bereit erklärt hat, ist schon eine kleine Sensation. Die Gründe hierfür liegen zunächst beim Papst selbst, der sich nicht einfach auf sein Amt als oberster Glaubenshüter zurückzieht, sondern stets als persönlich Glaubender den Dialog sucht, so zum Beispiel durch die Veröffentlichung seines Jesus-Buches, das eben kein lehramtliches Dokument darstellt. Doch auch die Persönlichkeit des Journalisten Peter Seewald als Fragesteller hat dazu beigetragen. Dieser veröffentlichte bereits zwei Interview-Bücher mit dem damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger: „Salz der Erde“ (1996) und „Gott und die Welt“ (2000). Schon durch die Titelwahl für das neue Buch „Licht der Welt“ wird sichtbar, daß sich hier ein Kreis schließt. Mit den Worten „Ihr seid das Salz der Erde … Ihr seid das Licht der Welt ...“ (Mt 5,13+14) gibt Jesus seinen Jüngern den Auftrag, das Evangelium in die Welt hinauszutragen.

Durch die vorangegangenen Interviews ist sicherlich zwischen beiden Männern ein Vertrauen gewachsen, welches das vorliegende Buch erst ermöglicht hat. Der Redakteur von Spiegel, Stern und Süddeutscher Zeitung hat durch die Gespräche mit dem Kardinal sogar zur Kirche zurückgefunden. Seinen Glaubensweg beschreibt er in dem Buch „Grüß Gott! Als ich begann, wieder an Gott zu denken“ (2003). Der Post-68er ist also alles andere als ein „päpstlicher Hofberichterstatter“ – wie ihn kirchenfeindliche Kräfte in den letzten Tagen meinten titulieren zu müssen. Seewald aber zeichnet aus, was andere Journalisten im Umgang mit Vertretern der Kirche oft vermissen lassen: Fairneß. Hier soll niemand vorgeführt werden. Hier werden auch keine Suggestiv- oder Fangfragen gestellt, die nur dazu dienen, vorhandene Vorurteile zu bestätigen.

Vielmehr geht es Peter Seewald darum, dem Papst Gelegenheit zu geben, aktuelle Fragen zur Zeit und zum Zustand der Kirche zu beantworten0. Dabei werden keine „heißen Eisen“ ausgespart; auch die Mißbrauchsdebatte, der Fall Williamson und die Forderung nach innerkirchlichen Reformen kommen zur Sprache. Ebenso erhält der Papst aber auch die Gelegenheit, seine religiösen Überzeugungen darzulegen und aufzuzeigen, welche Gefahren heute die Kirche oder die Gesellschaft als Ganzes bedrohen.

Zeit seines Lebens war Joseph Ratzinger ein Unbequemer. In seiner Jugend widerstand er dem atheistischen politischen System; als junger Theologe wandte er sich gegen eine allzu strenge Kirchenführung; als Bischof warnte er vor den Gefahren der Wohlstandsgesellschaft und als Kardinal wehrte er glaubensfeindliche Strömungen ab, die in die Kirche einzudringen drohen. Er hat es sich also nie leichtgemacht. Und dennoch sieht er nicht alle neueren Entwicklungen grundsätzlich negativ, sondern ist getragen von einem tiefen Gottvertrauen. So scheint auch seine Freude am Glauben im Interview immer wieder durch.

Im Namen der Toleranz wird die Toleranz abgeschafft

Ebenso wird hier die Meinung widerlegt, der Papst bekäme hinter seinen hohen Mauern gar nicht mit, was in der Welt vor sich geht. Er ist nicht nur ein Mensch, der großes Interesse an gesellschaftlichen Entwicklungen und menschlichen Schicksalen zeigt, sondern der auch durch regelmäßige Berichte von Bischöfen aus aller Welt informiert ist. Vielleicht sieht er von daher manches in einem größeren Horizont. Natürlich sind auch die Erfahrungen der Geschichte und die Lehre Christi für ihn immer wieder wichtige Maßstäbe, um aktuelle Geschehnisse einzuordnen und zu beurteilen. Von daher gelingt dem Papst oftmals eine prägnante Analyse.

Auf die Mißbrauchsskandale in den USA, Deutschland oder Irland angesprochen, verweist er auf das kirchliche Strafrecht. „Seit der Mitte der 60er Jahre wurde es einfach nicht mehr angewandt. Es herrschte das Bewußtsein, die Kirche dürfe nicht Rechtskirche, sondern müsse Liebeskirche sein; sie dürfe nicht strafen. So war das Bewußtsein dafür, daß Strafe ein Akt der Liebe sein kann, erloschen. Damals kam es auch bei ganz guten Leuten zu einer merkwürdigen Verdunkelung des Denkens.“

Bezüglich der Aufhebung der Exkommunikation für die Bischöfe der Piusbruderschaft weist der Papst darauf hin, daß diese nicht wegen ihrer theologischen Position exkommuniziert waren, sondern weil sie ohne päpstliche Erlaubnis geweiht wurden. Wenn ein unrechtmäßig geweihter Bischof aber das Papsttum und den derzeitigen Papst anerkennt, kann die Exkommunikation auf dessen Bitte hin aufgehoben werden. Selbiges geschieht auch mit den Bischöfen der chinesischen Staatskirche. Daß die Rücknahme der Exkommunikation zeitlich mit der Veröffentlichung des Williamson-Interviews und dessen Holocaust-Leugnung zusammenfiel, hat dem Papst dann eine schlechte Presse beschert. Benedikt XVI. gibt im Interview zu, „daß hier unsere Pressearbeit versagt hat“.

Mehrfach kommt der Papst auf die Diktatur des Relativismus zu sprechen. Er sieht eine „neue Intoleranz“ sich ausbreiten, so daß „im Namen der Toleranz die Toleranz abgeschafft wird“, da eine westliche Vernunft „einen Totalitätsanspruch erhebt, der freiheitsfeindlich ist“. Wer also seine Meinung über Papst Benedikt XVI. nicht auf Vorurteile oder das von den Massenmedien vermittelte Bild gründen mag, wird zu diesem Buch greifen müssen. Er wird mit einer Weltsicht konfrontiert werden, die eine Auseinandersetzung lohnt. Aber Vorsicht: Dies kann – wie bei Peter Seewald – Folgen haben.

Benedikt XVI.: Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Herder Verlag 2010, gebunden, 255 Seiten, 19,95 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen