© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Eisernes Fest
Die Fans des 1. FC Union Berlin singen alljährlich zur Weihnachtszeit im Stadion
Felix Krautkrämer

Ein bißchen nervös ist Leon Melchert schon. Schließlich spielt er nicht jeden Tag vor mehreren tausend Zuschauern auf seiner Trompete. Und das auch noch in einem Fußballstadion. Aber wenn das erste Lied angestimmt wird, ist das Lampenfieber wie weggeblasen, und auch die Kälte spürt er dann nicht mehr, erzählt der 13jährige mit leuchtenden Augen. Wie auch im vergangenen Jahr wird Leon gemeinsam mit anderen Bläsern am Tag vor Heiligabend im von Kerzen erleuchteten Stadion des 1. FC Union Berlin die Freunde und Anhänger des Zweitligisten in Weihnachtsstimmung versetzen. Beim traditionellen Weihnachtssingen von „Eisern Union“ – wie der Club nicht nur in der Vereinshymne genannt wird.

2009 waren annährend 9.000 Unioner gekommen, die meisten von ihnen in den rot-weißen Clubfarben. Männer, Frauen und Kinder. Eine große Familie, die bei Glühweinduft und Kerzenschein im „heimischen Wohnzimmer“ – wie das Stadion an der Alten Försterei auch genannt wird – zusammenkommt, um gemeinsam „O du fröhliche“, „Alle Jahre wieder“ und „O Tannenbaum“ zum besten zu geben.

Wie vieles bei Union geht auch das Weihnachtssingen auf die Initiative der Fans zurück. Genauer gesagt auf den Fanclub „Alt-Unioner“. Nach einer bis dahin nicht gerade ruhmreichen Saison schlichen sich 2003 knapp 90 Anhänger kurz vor Heiligabend ins Stadion, um unter der Leitung von Torsten Eisenbeiser auf der Gegengeraden Weihnachtslieder zu singen. Nach dem letzten Spiel seien die meisten Fans gefrustet nach Hause gegangen, ohne sich von ihrem Nebenmann zu verabschieden, erinnert sich der „Eiserne Torsten“. Er habe daher angeregt, sich gemeinsam mit den Familien noch einmal vor dem Fest zu treffen. Schließlich sei Union kein „x-beliebiger Profifußballklub“. Bereits im Jahr darauf wurde aus dem „illegalen“ Weihnachtssingen eine offizielle Veranstaltung mit 500 Teilnehmern. Von Jahr zu Jahr stieg deren Zahl. Selbst im Jahr 2008, als das Stadion wegen Umbauarbeiten geschlossen war, trafen sich 4.000 Fans vor dem Köpenicker Rathaus.

Für dieses Jahr rechnet der Verein mit bis zu 10.000 Weihnachtssängern. Es gehe aber nicht um irgendwelche Besucherrekorde, betont Unions-Sprecher Christian Arbeit: „Das ist kein Wettbewerb. Wichtig ist, daß die Fans mit ihren Familien in Weihnachtsstimmung kommen und gemeinsam einen schönen Abend verbringen.“

Treue Anhänger spenden sogar Blut für ihren Club

Von der Mannschaft werden am 23. Dezember nur einzelne Spieler beim Weihnachtssingen dabeisein, doch steht an diesem Tag ohnehin nicht die Elf im Mittelpunkt, sondern deren Anhänger. Und die haben ihre eiserne Treue in den vergangenen Jahren mehrfach unter Beweis gestellt: Als 2008 der längst überfällige Stadionumbau begann, legten an die 2.000 freiwillige Helfer in rund 140.000 Arbeitsstunden selbst mit Hand an. Und als der Verein 2004 nicht die notwendige Summe für die Spielgenehmigung in der Regionalliga aufbringen konnte, riefen die Fans kurzerhand unter dem Motto „Bluten für Union“ zum kollektiven Blutspenden auf. Das dadurch gewonnene Geld trug letztlich zum Erhalt des Spielbetriebs bei.

Es ist der Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl, die „Eisern Union“ so besonders machen. Und genau deshalb kann sich Leon Melchert auch keinen schöneren Ort vorstellen, um zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern das Weihnachtsfest einzuläuten, als das „Wohnzimmer“ an der Alten Försterei im Kreise der Union-Familie.

Foto: Singende Fans im Stadion an der Alten Försterei: Leon Melchert (oben) bläst vorher auf seiner Trompete

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