© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Aufgeschnappt
Gemessene Wertschätzung
Matthias Bäkermann

Ich weiß, sie tranken heimlich Wein / Und predigten öffentlich Wasser.“ Heinrich Heines Erkenntnis aus „Deutschland. Ein Wintermärchen“ paßt derzeit zu den Verhältnissen in der SPD-Fraktion. Gemäß der Feststellung des Genossen Olaf Scholz: „Die arbeitenden Menschen brauchen mehr Wertschätzung“, mit der der stellvertretende Fraktionsvorsitzende noch im April ein neues SPD-Eckpunktepapier betitelt hat, erfassen die Sozialdemokraten ab dem 1. Januar 2011 die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter mit einer elektronischen Stechuhr – als einzige aller Bundestagsfraktionen. Der Entschluß drückte nach Bekanntwerden natürlich die Stimmung: „Viele Kolleginnen und Kollegen empfinden dies als Mißtrauensbekundung und nicht als Anerkennung ihrer Arbeit“, zitiert die Berliner Zeitung Mitte Dezember die Fraktions-Gleichstellungsbeauftragte Beate Wagner-Nothelle. Man werde mit diesem Schritt eigenen politischen Ansprüchen nicht gerecht.

Verweise auf marxistische Traditionen – Lenins ewiges Diktum „Vertraue, aber prüfe nach“ – passen wohl deshalb kaum, weil bei der alten Arbeiterpartei noch manch anderes im argen liegt: So beklagte Wagner-Nothelle auf einer Personalversammlung, daß neben der Stechuhr auch die vielen befristeten Arbeitsverträge ein Grund für viele seien, daß sie die Mitarbeit in der SPD-Fraktion „nicht so interessant finden“.

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