© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

„Ein Mann mit aufrechtem Gang“
Sachsen: Der Stasi-Beauftragte Michael Beleites tritt ab
Klaus Peter Krause

Er hat sich wahrlich verdient gemacht, schon in der DDR-Zeit, aber auch danach: Michael Beleites, der langjährige Sächsische Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Zehn Jahre lang ist er das gewesen, über zwei Amtszeiten: von 2000 bis Ende 2010. Sein Ausscheiden hat sich sang- und klanglos vollzogen, eine öffentliche Verabschiedung hat es nicht gegeben. Die zu veranstalten, wäre das sächsische Justizministerium zuständig gewesen. Das hatte dafür aber keinerlei Anstalten gemacht. Vielleicht hat er sich nicht hinreichend beliebt gemacht. Und so hat er sich, um Bilanz zu ziehen, Rechenschaft abzulegen und Dank zu sagen, mittels eines Rundbriefes gleichsam selbst verabschiedet.

Immerhin wurde ihm Ende Dezember Anerkennung im Sächsischen Landtag zuteil, als der Jahresbericht des Landesbeauftragten auf der Tagesordnung stand. Da haben die meisten Redner die Gelegenheit genutzt, sich auch für seine Arbeit zu bedanken. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) würdigte Beleites als einen „Mann mit aufrechtem Gang“ . Für Bundesgeschäftsführer Georg Janßen war er „einer der wenigen, die nach der Wende vor den Fehlentwicklungen in der ostdeutschen Landwirtschaft gewarnt haben“. Er habe eindringlich darauf hingewiesen, daß die Bodenpolitik mit den Flächen der östlichen Bundesländer Neugründungen bäuerlicher Betriebe und Agrarstrukturen verhindere. Damit habe er sich gegen die Politik aller Parteien gestellt.

Auch in seinem Rundbrief hat Beleites noch einmal zu diesem Thema Stellung genommen. „Wie komplett (...) ein historisches Ereignis von großer Tragweite auch beschwiegen werden kann, wenn es den Redaktionen und politischen Meinungsmachern nicht gefällt, das konnte man anhand des 50. Jahrestages der Zwangskollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft beobachten, den wir im Frühjahr 2010 begingen“, schreibt er. Etwa 20 Prozent der DDR-Bevölkerung seien selbst oder mit ihren Familien von dieser beispiellosen Despotie betroffen gewesen. Bis heute leide die Attraktivität der ländlichen Räume Ostdeutschlands erheblich unter einer sozialistisch geprägten agrarindustriellen Monostruktur.

„Alle drei Etappen der kommunistischen Agrarpolitik (Bodenreform – Kollektivierung – Industrialisierung) waren dem Ziel der Eliminierung des Bauernstandes untergeordnet. Es ging um eine flächendeckende Proletarisierung der vormals freien Bauern.“ Diese Etappen seien Bestandteil der kommunistischen Großverbrechen. „Ohne erkennbare parteipolitische Unterschiede hat die Agrarpolitik der ostdeutschen Bundesländer in den letzten zwanzig Jahren ganz überwiegend die Interessen der Begünstigten der SED-Agrarpolitik vertreten.“

Geboren wurde Beleites 1964 als Sohn eines Pfarrers in Halle. Er absolvierte eine Ausbildung zum Zoologischen Präparator und arbeitete am Naturkundemuseum in Gera. Durch sein Mitwirken  in kirchlichen Friedens- und Umweltinitiativen geriet er schnell unter die Beobachtung der Stasi. Daher durfte er weder Abitur machen noch studieren. Seit 1983 verfolgte die Stasi ihn mit einem „Operativen Vorgang“.

Die Verfolgung verstärkte sich zum „Politisch-operativen Schwerpunkt“ der Stasi-Bezirksverwaltung Gera, als er 1986 mit beispielhaftem Mut begann, zu den ökologischen und gesundheitlichen Folgen des Uranabbaus zu recherchieren. Mit dem, was er dabei herausgefunden hatte, verfaßte er 1988 als Untergrundschrift die Dokumentation „Pechblende – Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen“. Die Stasi sah in ihm einen gefährlichen Oppositionellen. Sie bespitzelte ihn, setzte ihn unter Druck. Schon 1987 verlor er durch Stasi-Repressionen seinen Arbeitsplatz. Er mußte sich freiberuflich durchschlagen. In seinem Rundbrief schreibt er, eine Gefängnisstrafe sei ihm dank der West-Öffentlichkeit der „Pechblende“ erspart geblieben, doch die „diffuse und dennoch extreme Verfolgungssituation jener Zeit“ werde er nie vergessen.

Von 1989 bis 1990 war Beleites Mitglied des Bürgerkomitees zur Stasi-Auflösung in Gera. Im Februar 1990 wurde er Berater des Neuen Forums am Zentralen Runden Tisch in Berlin, 1992 Mitarbeiter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag. Dann folgte das Agrarstudium. Er veröffentliche 1991 die Bücher „Untergrund“ und 1992 „Altlast Wismut“. An seiner Dokumentation „Untergrund“ haben sich neben anderen Stasi-Opfern mit eigenen Beiträgen auch die vier zuständigen Stasi-Offiziere beteiligt. In Beleites’ Rundbrief liest man dazu: „Ich konnte nach intensiven Gesprächen die Erfahrung machen: Wer vergibt, tritt aus seiner Opferrolle heraus.“ 

Weiter schreibt Beleites: „Bis fast zuletzt habe ich geglaubt, daß meine ‘moderate Amtsführung’ ehemalige Stasi-Mitarbeiter und anderweitig in die SED-Diktatur Verstrickte dazu ermutigt, offener mit den problematischen Seiten ihrer Vergangenheit umzugehen oder zumindest das Gespräch darüber zu suchen. Heute muß ich sagen, daß diese Zurückhaltung von vielen als Schwäche interpretiert wurde, die sie in dem Beschweigen bzw. der Verfälschung ihrer Vergangenheit bestärkt hat.“  Ein Nachfolger für Beleites im Amt des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen steht noch nicht fest.

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