© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Ihr Stern strahlt heller denn je
Sarah Palins politsches Manifest: Amerika von Herzen – Familie, Glaube und die Fahne
Elliot Neaman

Wenn für den Auftrag, Sarah Palins neues Buch zu rezensieren, schon kein Schmerzensgeld gezahlt wird, ist wenigstens der Gedanke tröstlich, dadurch anderen die Lektüre zu ersparen. Was für eine freudige Überraschung also zu entdecken, daß „America by Heart“ gar nicht so schlecht geraten ist – ja, teilweise sogar geistreich, klarsichtig, fundiert argumentiert und dabei durchaus unterhaltsam.

Die Frage, die sich unwillkürlich aufdrängt, ist natürlich, wieviel davon aus Palins eigener Feder stammt. In den Danksagungen erwähnt sie lediglich ihren Lektor sowie die „unschätzbare Unterstützung“ einer Publizistin namens Jessica Gavora, über die kaum mehr in Erfahrung zu bringen ist, als daß sie wie Palin in Alaska lebt und mit dem konservativen Kolumnisten Jonah Goldberg verheiratet ist.

Nimmt man Palin beim Wort, so darf man davon ausgehen, daß sie sich in den langen Winternächten dort oben im Norden in die Briefe des französisch-amerikanischen Farmers J. Hector St. John de Crèvecœur vertieft und in den Büchern von längst vergessenen österreichischen Ökonomen und Klassikern wie Alexis de Tocqueville, Milton Friedman oder Whittaker Chambers schmökert, um nur ein paar der Namen zu nennen, die sie beiläufig einstreut.

Fairerweise muß man zugestehen, daß Palin nicht die einzige Politikerin von heute ist, die ihre Ansprachen und Memoiren von anderen schreiben läßt. Insofern lautet die interessantere Frage wohl, welche Streichungen und Ergänzungen Palin vorgenommen hat, nachdem ihre Ghostwriter ihr die Rohfassung aushändigten. Denn das Buch trägt unverkennbar ihren persönlichen Stempel. Zwischen Passagen, die sie vermutlich nicht selber verfaßt hat – die oftmals gelehrten und belesenen Ausführungen zu den Gründervätern, der Verfassung, der Geschichte der Religion in Amerika, der Entstehung des amerikanischen Feminismus –, sind auch lange Absätze voller biographischer Details zu finden, die kaum von jemand anderem stammen können. So erfährt der geneigte Leser zum Beispiel, daß sie ein ganzes Jahr lang auf Schokolade verzichtete, um ihre Willenskraft auf die Probe zu stellen.

Palins Talent liegt darin, den akademischen Stoff in leserfreundlichen, bürgernahen Klartext zu verwandeln, ähnlich wie es einst ihrem großen Vorbild Ronald Reagan mit seinen (von ihm selber verfaßten)  Radiosendungen und Ansprachen gelang. Zwei derart disparate Handlungsstränge – Geschichte, Politik, Ideengeschichte einerseits, ihre eigene Biographie andererseits – zu einer kohärenten Erzählung zu verweben, ist ein Kunststück, das längst nicht jeder noch so geschickte Redner hätte vollbringen können.

Verglichen mit Palins erstem Buch „Going Rogue“ (JF 52/09) steht diesmal sehr viel deutlicher die Absicht im Vordergrund, ein politisches Manifest zu veröffentlichen. Das Hauptargument läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Beide großen politischen Parteien – insbesondere die Demokraten, aber die Republikaner sind keineswegs unschuldig daran – haben Amerika vom rechten Weg abgebracht.

Nun ist es Zeit, „das Land zurückzuerobern“, wie landauf, landab auf Tea-Party-Veranstaltungen zu hören ist. Konkret bedeutet das eine Rückbesinnung auf einen schlankeren Staat, niedrigere Steuern, weniger Regulierung und mehr persönliche Freiheit. Vor allem bedeutet es Widerstand gegen die Liberalen, die Amerika andauernd schlechtreden, seinen Untergang prophezeien, die Religion aus dem öffentlichen Leben heraushalten wollen und eine werte- und familienfeindliche Politik machen.

„America by Heart“ ist Palins Schlachtruf, mit dem sie ihren Parteifreunden bedeutet, daß es ihr ernst ist mit der Präsidentschaftskandidatur 2012. Die Argumente darin mögen in ihrer Schwarzweißsicht auf komplexe Probleme reduktionistisch sein – stilistisch und rhetorisch ist das Buch ein Glücksgriff. Palin gelingt es hier, ein Grundprogramm für einen Wahlkampf der Tea Party zu entwerfen, deren Gedankengut bislang eher amorph und wirr anmutete.

Palin selber bezeichnet ihre Philosophie als „commonsense constitutional conservatism“: als Konservatismus, der auf der Verfassung und dem gesunden Menschenverstand gründet und somit Fiskalkonservative, Freigeister und religiöse Fundamentalisten gleichermaßen ansprechen dürfte.

So sehr sich Palin über die etablierten Medien echauffiert, so geschickt weiß sie ihre eigene Medienpräsenz zu kultivieren. Sie moderiert eine Reality Show über Alaska, ist als politische Kommentatorin für Fox News tätig und überaus aktiv auf Facebook und Twitter, während ihre Tochter Bristol in der ungemein populären Sendung „Dancing with the Stars“ auftrat. Obwohl viele republikanische Strategen ihr nicht die notwendige staatsmännische Würde zutrauen, um ihr 2012 ernsthafte Chancen auf einen Einzug ins Weiße Haus einzuräumen, haben ihre Konkurrenten in der eigenen Partei eine Heidenangst vor ihr. Rick Santorum, der beliebte Fiskalkonservative und Ex-Senator aus Pennsylvania, ließ bereits verlautbaren, er wolle abwarten, ob Palin kandidiert, bevor er selber seine Entscheidung trifft. Sie würde potentiellen Rivalen eine Menge Atemluft wegnehmen, so Santorum.

Palins Stern strahlt unvermindert hell. Letztlich mag sich erweisen, daß sie doch nur eine Sternschnuppe ist, die so plötzlich wieder verglüht, wie sie am Himmel aufgetaucht ist. Doch Palins Erfolg sollte all jenen eine Warnung sein, die sie unterschätzt haben. Als sie frühzeitig ihren Gouverneursposten aufgab, nachdem sie und John McCain die Präsidentschaftswahl verloren hatten, wurde schon so mancher politische Nachruf auf sie verfaßt.

Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten, und Palin wußte sehr genau, daß sie die populistische Tea-Party-Welle nicht vom fernen Alaska aus würde reiten können. Sie ist ungeheuer geschickt darin, die modernen Medien zu ihrem Vorteil zu nutzen, indem sie alles auf ihre persönliche Ausstrahlung setzt, eine fanatische Anhängerschaft um sich sammelt – und nicht zuletzt, indem sie die liberalen Eliten an den Rand des Wahnsinns treibt.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

 

Politische Stationen Palins

Ihre politische Karriere begann die  46jährige Sarah Palin mit 18, als sie in ihrem Heimatort Wasilla (Alaska) der Republikanischen Partei beitrat. Mit 28 wurde die studierte Journalistin Stadträtin, mit 32 Bürgermeisterin und zehn Jahre später jüngster und erster weiblicher Gouverneur Alaskas (2006). International bekannt wurde die katholisch getaufte und zur pfingstlerischen Wasilla Bible Church gewechselte Palin, zugleich „Beauty Queen“ und fünffache Mutter, im Jahr 2008 als republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin. Doch Obama gewann. Seitdem propagiert Palin ihre Vision für Amerika – gegen Abtreibung, für einen schlanken Staat, Gott und die Werte der Ehe und Familie – und feierte als Ikone der Tea-Party-Bewegung (JF 16/10) erste Erfolge bei den Kongreßwahlen 2010.

Foto: Sarah Palin „Superstar“: Überall wo die konservative Politikerin auftritt, sorgt sie für Aufsehen. Mit ihrem neuen Buch „America by Heart“ rüstet sich die ehemalige Gouverneurin von Alaska für die Präsidentenwahl 2012

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