© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Zweierlei Halleluja
Händels „Messias“ bei den Franziskanern und in einem Einkaufszentrum in Kanada
Werner Veith

Arm, einfach und schlicht soll das Leben der Franziskaner sein. Und in der Tat: Ihrer Kirche in Würzburg fehlt der barocke Überfluß, fehlen das Gold und die Heerscharen an Engel. Stattdessen Kirchenschiffe im frühgotischen Stil, weißgetünchte Wände. Aus Bescheidenheit verzichten die Franziskaner gar auf einen richtigen Kirchturm. Architektur der herben Klarheit, ohne jegliche Dekoration.

Kein Vergleich zu den 80 Sängern des Oratorienchors mit Händels „Messias“. Sie brillierten mit einem verschwenderischen, überschwenglichen Barockstil. Voller Wärme erstrahlten Stücke wie das „Halleluja, denn Gott der Herr regieret allmächtig“ in vier Stimmen. Festliche Musik in der Franziskanerkirche, als ob ein Herrscher gekrönt wird. Was würde Ordensgründer Franz von Assisi zu der Musik eines Georg Friedrich Händels sagen? Zu üppig, zu süffig, weil die schöne Form vom Inhalt ablenkt, wenn der Sopran wendig wie ein Kolibri die Tonleiter empor steigt?

Vollkommen anders ging es in einem riesigen Einkaufszentrum in Kanada zu. Die Leute essen gemütlich Hamburger und Salat, einige löffeln ihre Suppe. Ein Pianist spielt Weihnachtslieder. Dann ertönt Orgelmusik aus dem Hintergrund. Plötzlich steht eine Frau mit rotem Schal auf, hält ihr Mobiltelefon ans Ohr und singt ein langgezogenes Halleluja, einmal, zweimal, immer wieder. Einige Tische weiter erhebt sich ein Mann und stimmt in das Halleluja der Frau ein. Menschen in einer Warteschlange drehen sich um und beginnen ebenfalls mit dem Halleluja von Händel. So geht das fünf Minuten lang. Manche Gäste essen ungestört weiter, andere wundern sich und zücken ihr Fotohandy.

Sechs verdeckte Kameras zeichneten das Ereignis auf. Zu sehen war das Video am Heiligen Abend in Königsbrunn bei Augsburg. Es sollte junge Leute in die Christvesper locken. Jugendnah waren auch die Kirchenlieder. Traditionelles sang eine junge Frau mit Bluesstimme vor, christliche Popmusik klang nach Nena oder Silbermond. Alle Texte warf ein Projektor an die Leinwand des Martin-Luther-Zentrums, sogar das Vaterunser. Eine ältere Dame meinte: „Die Gitarre war viel zu laut. Das lenkt doch vom Inhalt ab. Und erst die Kräherei der Sängerin!“

Das kanadische Kurzkonzert (mit Profisängern) findet sich im Internet bei Google unter „Hallelujah chorus“ oder „Christmas Food Court Flash Mob“.

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