© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Absturz der frommen Presse
Haben christliche Medien in Deutschland noch eine Überlebenschance? / Eine Spurensuche
Gernot Facius

Das waren noch Zeiten. Goldene Zeiten. Vor gut 15 Jahren präsentierte sich Deutschlands fromme Presse ihren Anzeigenkunden noch mutig als „der unbekannte Riese“ im Blätterwald. Inzwischen ist der – vermeintliche – Titan zu einem Schwächling geschrumpft. Die 42 konfessionellen Wochenblätter haben allein im Zeitraum von 1998 bis 2009 rund 650.000 Käufer verloren – ein Minus von 36 Prozent. Der Auflagenschwund ist enorm.

Von den rund 52 Millionen Kirchenmitgliedern (katholisch und evangelisch) entscheiden sich nur noch 2,2 Prozent für eine kirchliche Wochenzeitung. Der ökumenisch ausgerichtete Rheinische Merkur ist als selbständiges Blatt vom Markt verschwunden – seine rund 14.000 festen Abonnenten werden seit Dezember von der linksliberalen Zeit mit einer schwachbrüstigen Beilage Christ und Welt beliefert. Damit folgten die bisherigen bischöflichen Eigentümer dem evangelischen Huckepack-System: Das Monatsmagazin chrismon wird seit Jahren der Zeit und mehreren Regionalzeitungen beigelegt. Und nun hat auch die evangelische Kirche von Hessen-Nassau den Daumen über ihr bisher viermal im Jahr in einer Auflage von 1,1 Millionen Exemplaren erschienenes Mitgliedermagazin Echt den Daumen gesenkt.

Die Glaubenskrise geht mit einer Medienkrise einher. Kooperationen können die dramatische Talfahrt nicht aufhalten. Vor allem die katholische Kirche trifft es hart. Durchschnittlich um 35.000 Stück pro Jahr ist die Auflage der 24 Bistumszeitungen im vergangenen Jahrzehnt geschrumpft. Ende 2009 hatten diese Blätter nur noch 700.000 Exemplare abgesetzt, fast ausschließlich im Abonnement. Im Vergleich dazu: 1963 betrug die Gesamtauflage 2,45 Millionen.

Rein mathematisch werde es die Gattung Bistumszeitung in 20 Jahren nicht mehr geben, prophezeite Christian Klenk von der Fachzeitschrift Communicatio Socialis, um sogleich hinzuzufügen: „Rein ökonomisch kommt das Aus bei anhaltender Entwicklung freilich früher.“ Es werden kuriose Rettungsmodelle ersonnen: Beim traditionsreichen Paderborner Dom tritt die Katholische Nachrichtenagentur als redaktioneller Dienstleister auf.

Die Verluste der verkauften Auflagen der Bistumszeitungen in den zurückliegenden zehn Jahren reichen von 15,2 Prozent beim Tag des Herrn (Dresden-Meißen, Görlitz, Magdeburg und Erfurt) bis zu 62 Prozent bei der Berliner Ausgabe der Sonntags-Zeitung aus dem Augsburger St. Ulrich Verlag, der 2008 auch das katholische Boulevardblatt neue bildpost übernommen hat. Der St. Ulrich Verlag ist, wie die Katholische Nachrichtenagentur titelte, inzwischen ein „Imperium ohne Kopf“. Der umtriebige Geschäftsführer Dirk Hermann Voß, einst ein Vertrauter von Bischof Walter Mixa, wurde vom neuen Oberhirten, Konrad Zdarsa, abberufen; vielen Klerikern und Laien war der ausgewiesene Konservative seit langem ein Dorn im Auge.

Der Absturz der „frommen Presse“ hat gewiß mehrere Ursachen. Neben der Erosion des christlichen, vor allem katholischen Milieus und der immer schwächer werdenden Kirchenbindung haben hausgemachte Fehler zu der Misere geführt. Die meist bischöflichen Herausgeber haben zu lange die Eigengesetzlichkeit von Medien mißachtet und „ihr“ Blatt als Verlautbarungsorgan und verlängerte Kanzel betrachtet. Den Redakteuren war ein Spagat aufgezwungen zwischen den Lesern, die Sehnsucht nach „früher“ haben, und denen, denen es nicht schnell genug mit dem Fortschritt geht. Gelungen ist er selten.

Das soll nicht heißen, daß klares Profil und gelegentliche Polarisierung in Kommentaren wie überhaupt eine kämpferische Positionierung als Erfolgsfaktoren ausscheiden.  Die Tagespost aus Würzburg, rom- und papsttreu, trotzt mit ihrer Auflage von 12.260 dem Blättertod, sie erscheint dreimal in der Woche und gilt als die letzte katholische Tageszeitung in Deutschland. Von den überregionalen evangelischen Wochenzeitungen ist das evangelikal ausgerichtete idea-Spektrum aus Wetzlar übriggeblieben, das Magazin des „Informationsdienstes der Evangelischen Allianz“. Als einziger Titel zeigt idea-Spektrum, geleitet von Helmut Matthies, eine permanente Steigerungsrate: von 20.382 Exemplaren 1998 auf 31.400 Ende 2010. Auf katholischer Seite gilt ähnliches für Publik Forum, die „Zeitung kritischer Christen“, Nachfolger der 1971 von den Bischöfen eingestellten Wochenzeitung Publik, der 1968 aufgetragen wurde, die ganze Breite und Buntheit des deutschen Katholizismus abzubilden – was freilich katastrophal schiefgegangen ist. Das Heft aus Oberursel erscheint vierzehntägig und steigerte seine Auflage von 34.223 auf heute rund 40.000 Exemplare.

Es gibt sie also noch die Nischenprodukte konservativer oder progressiver Provenienz, an denen man sich reiben kann. Blätter auf Wachstumskurs. Populär ausgedrückt: An den Rändern der Kirchen blüht der (publizistische) Weizen.

Foto: Rheinischer Merkur: Die Wochenzeitung ist abgeschmiert, taugt nur noch als Zeit-Beilage

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