© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Ein Meilenstein, der keiner war
Eine Ausstellung über die Nürnberger Prozesse am historischen Ort
Stefan Scheil

Für einen gar nicht kleinen Teil der Weltöffentlichkeit ist Nürnberg die Stadt des Weihnachtsmarkts, der Reichsparteitage und der Nachkriegsprozesse. Das zieht Reisende an, die sich vor Ort in einer Mischung aus romantischem Wohlergehen und historischem Schauder selbstvergewissern möchten. Wie man hört, waren dabei am Saal 600, dem Ort des Nürnberger Tribunals gegen die Führung NS-Deutschlands, immer wieder Tränenausbrüche zu verzeichnen, wenn der Gerichtssaal den Besuchern nicht offenstand. Letzteres kam häufig vor, denn er ist schließlich weiterhin ein Ort des juristischen Betriebs, an dem Urteile gesprochen werden. Allerdings sind es inzwischen solche, die von der Bundesrepublik anerkannt werden, anders als dies bei den Urteilen der Nürnberger Prozesse der Fall war und ist.

Um der Not mancher Besucher etwas Abhilfe zu schaffen, gibt es seit Ende November im Dachstuhl des Gerichtsgebäudes eine Dauerausstellung über die Nürnberger Prozesse, ein sogenanntes Memorium. Die Gestaltung ist an sich kaum bemerkenswert, auch wenn mehr als vier Millionen Euro von Bund und Land investiert wurden. Die laufenden Kosten der Ausstellung trägt die Stadt Nürnberg. Der Raum ist trotz dieses Materialeinsatzes relativ bescheiden und auf Exponate wurde schon deshalb weitgehend verzichtet. Die Original-Anklagebänke kann der Besucher sehen, einen Schaltschrank und eine „Kiste der US-Armee“, in der Beweise transportiert worden sein sollen. Den überwiegenden Teil der Ausstellung bestreiten Stellwände, Bilder, Videos und Tonaufnahmen, die dem Besucher eine „sachliche Auseinandersetzung“ mit dem Prozeß ermöglichen sollen.

Wer nun erwartet hat, daß eine in der Bundesrepublik des Jahres 2010 eröffnete und von Bundes- und Landes-institutionen geförderte Ausstellung die reine Unsachlichkeit über Ursprung und Verlauf des Prozesses präsentieren wird, findet diese Erwartungshaltung im weiteren vollauf bestätigt. In Nürnberg wurde bekanntlich, dies nur zur Erinnerung, gegen zahlreiche allgemeingültige Rechtsgrundsätze verstoßen. So war die persönliche Identität von Gesetzgeber, Ankläger und Richter zu beobachten, die Anwendung eines Gesetzes, das zur Tatzeit nicht gegolten hatte, die Beschränkung der Gültigkeit des neu erlassenen Gesetzes auf eine einzelne Personengruppe, das heißt ausschließlich auf deutsche Vergehen, das Vorlegen von Beweismaterial unter falschen Angaben über dessen Herkunft, die Anklage von Personen wider besseres Wissen, die Behinderung der Verteidigung durch Anwendung abgesprochener Verfahrensregeln, die Ablehnung von vorgelegtem Entlastungsmaterial nach einem vor Prozeßbeginn besprochenen Plan und die Verhinderung von Zeugenaussagen durch Verweigerung von Angaben über den Aufenthalt des Zeugen.

Es war nach Ansicht der im wesentlichen von den USA ausgehenden Chefanklage nicht möglich, die Angeklagten in einem fairen Verfahren zu verurteilen, ohne dabei unerwünschte und politisch schädliche Debatten über Kriegsursachen und -schuld zu riskieren. Also wurden juristisches Statut und Prozeß entsprechend zurechtgeschneidert, und zwar nicht zuletzt von eben jenem Robert H. Jackson, den die Ausstellung in mehreren Zitaten als „erfüllt von Gerechtigkeitssehnsucht“ darstellt.

Von solchen Vorgängen findet sich in Ausstellung und Begleitmaterial keine Spur. Nicht einmal die nationale Zusammensetzung der Richter wird hinterfragt oder gar kritisiert, dabei hatten sich doch die beteiligten Richtermächte damals lebhaft gegenseitig beschuldigt,1939 den Krieg mit angezettelt zu haben. Neben den Bildern der sowjetischen Juristen  Roman Rudenko und Iona Nikitschenko prangt statt dessen der Text, die Anklage sei von „innerer Überlegenheit“ und „geistiger Unbestechlichkeit“ geprägt gewesen. Die Beschränkung der präsentierten Nürnberger „Rechtsgrundsätze“ auf deutsche Angeklagte wird ebensowenig thematisiert, statt dessen wird der Prozeß als Fortschritt internationalen Rechts dargestellt, das er ausdrücklich gar nicht geschaffen hatte. Zum Beweismaterial erfährt man wahrheitswidrig, die Verteidigung hätte „die Annahme von Verteidigungsmaterial in ihrem Sinne regeln können“.

Auf der Basis dieser Ausstellungskonstruktion soll in Kürze auch „politische Bildung“ angeboten werden. Fragen von Gegenwart und Zukunft sollen dabei angesprochen werden, nicht nur solche der Vergangenheit.

An diesem Punkt nun entsteht die vage Möglichkeit, daß aus dem präsentierten historischen Unsinn tatsächlich so etwas wie Bildung erwächst. Die Ausstellung beklagt nämlich den Stand der heutigen Weiterentwicklung des Völkerrechts. Zwar gäbe es seit 2010 eine verbindliche Definition des Angriffskriegs, aber wichtige Großmächte wie Rußland, Indien, die USA, China oder Israel hätten das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs noch nicht ratifiziert. Das werden diese Staaten wohl auch weiterhin nicht tun, und wer sich darüber informiert und gewissenhaft über die Gründe nachdenkt, der wird vielleicht auch den umgekehrten Weg einschlagen und sich anderswo als in dieser Ausstellung besser darüber informieren wie das damals eigentlich so war, mit Nürnberg, dem Prozeß und dem Recht.

Fotos: Kommandant Rudolf Höß gesteht die Ermordung von 2,5 Millionen Menschen in Auschwitz, Nürnberg 1946: Historischer Schauer; Ausstellungsszenographie: Unsachliches über Ursprung und Verlauf

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