© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Anwerbestopp auf der Kippe
Einwanderung: In der Wirtschaft und der schwarz-gelben Koalition wird der Ruf nach ausländischen Fachkräften lauter
Ekkehard Schultz

Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland deutlich gesunken. Schon klagt die Wirtschaft über einen Fachkräftemangel und fordern eine offensive Anwerbung ausländischer Spezialisten.

„Fachkräftesicherung ist für mich 2011 eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Themen“, mahnte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, kurz vor dem Jahreswechsel im Handelsblatt. Gut jedes zweite Unternehmen rechne in den kommenden fünf Jahren mit einem Mangel an Hochqualifizierten.  Als Lösung schlug Driftmann unter anderem  vor, die Einwanderung von Spezialisten zu erleichtern. „Die aktuellen Zuwanderungsregelungen machen es Fachkräften und ausländischen Studenten leider schwer, nach Deutschland zu kommen“, kritisierte er. Das Land sei für ausländische Spitzenkräfte nur bedingt attraktiv. „Dadurch, daß die Koalition dieses Thema nicht anpackt und nötige Entscheidungen immer wieder vertagt, wird Zeit verschenkt und kein Willkommenssignal gesendet“, machte der DIHK-Chef Druck.

In der schwarz-gelben Koalition sind solche Mahungen nicht ungehört geblieben – und sorgen gleich wieder für Konfliktstoff. Während die FDP und Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) niedrigere Mindesteinkommensschwellen bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte befürworten, stoßen derartige Vorschläge vor allem in den Reihen der CSU auf deutlichen Widerspruch. So fordert Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich, erst einmal den 1. Mai abzuwarten. Dann dürfen Arbeitnehmer aus den östlichen EU-Staaten ohne Einschränkungen innerhalb der EU tätig werden. Keinesfalls, so Friedrich, sei es sinnvoll, „voreilig die Anwerbung von Fachkräften von außerhalb der EU zu fordern“. Zudem sollten deutsche Unternehmen „das einheimische Potential an Arbeitskräften optimal nutzen, mehr ausbilden und Berufseinsteigern eine Chance geben“.

Dagegen verwies von der Leyen darauf, daß nach den statistischen Berechnungen Deutschland in den nächsten 15 Jahren fünf Millionen Arbeitnehmer weniger haben werde. Allein diese Zahl verdeutliche, daß ein großer „Handlungsdruck“ bestehe. Selbst nach langer und intensiver Suche im Inland würden gerade viele mittelständische Unternehmen keine geeigneten Arbeitkräfte mehr finden. Wir werden „auf lange Sicht nicht ohne qualifizierte Zuwanderer auskommen, wenn wir den Wohlstand in unserem Land sichern wollen“, unterstrich von der Leyen.

Erschwert wird die Entscheidungsfindung innerhalb der Koalition von der Ungewißheit, was die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger aus den östlichen EU-Staaten für den deutschen Arbeitsmarkt tatsächlich bedeuten wird. Geht es nach der Europäischen Union, wird sie keine großen Folgen haben. Der zuständige EU-Kommissar für Beschäftigung und Soziales, László Andor, sagte der Nachrichtenagentur AFP,  die Angst vor einem massiven Ansturm auf den deutschen Arbeitsmarkt sei „unbegründet“. Die Bundesregierung rechnet dagegen derzeit damit, daß mehr als 100.000 Arbeitskräfte aus Ländern wie Polen, Tschechien oder Ungarn nach Deutschland kommen werden.

 Insbesondere die Bau-Gewerkschaft sieht dem 1. Mai daher mit Sorge entgegen. Denn sie fürchtet, daß ausländische Firmen dann vor allem als Subunternehmer mit ihren Beschäftigten auf den deutschen Markt drängen und so Arbeitsplätze in Deutschland gefährden. Darüber hinaus warnt die Gewerkschaft vor einem verstärkten Lohndruck nach der Öffnung für die osteuropäischen Arbeitskräfte. Dagegen erwarten die Arbeitsagentur sowie die Arbeitgeberverbände keine größeren Einschnitte durch die Freizügigkeit. Sie verweisen darauf, daß die Attraktivität des deutschen Arbeitsmarktes in den vergangenen Jahren stark abgenommen habe. Für Polen etwa sei es wesentlich attraktiver, in Großbritannien oder Irland zu arbeiten.

Eine Einschätzung, die den Befürwortern für eine Anwerbung ausländischer Fachkräfte innerhalb der Koalition neue Munition bietet.

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