© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Pankraz,
S. Gutekunst und das unlernbare Glück

Früher „hatte“ man Glück, oder es „stieß einem zu“. Glücklichsein war reine Glückssache. Doch damit soll es nun vorbei sein. Erstaunt liest Pankraz in den Zeitungen von der „Glücktrainerin“ Sandra Gutekunst aus Stuttgart, die energisch behauptet: „Glück ist kein Zufall und keine Gunst des Schicksals, sondern Glück muß erlernt werden, und es kann auch erlernt werden.“ Frau Gutekunst hat bereits ein Buch namens „Glückfinderkinder“ geschrieben, und im neuen Jahr will sie Wochenendseminare organisieren, in denen „Glückfinderkinder-Botschafter“ ausgebildet werden.

Alles kommt laut Gutekunst darauf an, durch „positives Denken“ unsere Gefühle zu beeinflussen. „Deshalb müssen wir“, sagt sie, „Gedankendisziplin erlernen. Wenn ich mich anstrenge, die Welt positiver zu sehen, erzeugt das über biochemische Prozesse im Hirn auch bessere Gefühle. (…) Wenn ich hier in Stuttgart durch die Stadt laufe, kann ich den dreckigen Schneematsch und den armen Bettler sehen – oder ich kann mich an der prachtvollen Weihnachtsdekoration freuen und die Musik der Straßenmusikanten genießen.“

So einfach ist das also. Den Schneematsch und den Bettler mit aller Gedankendisziplin ignorieren – und schon stellen sich Glücksgefühle ein. Andererseits sind Schneematsch und Bettler fürs Glücklichsein unabdingbar. Denn Glücksgefühle können nach Frau Gutekunst nur erlebt werden, wenn man das Gegenteil davon erfahren hat, nämlich Unwohlgefühle, Schreckensgefühle, Angstgefühle. Deshalb weist sie in ihrem „Glücksunterricht für Kinder“ immer wieder darauf hin, unter welch mißlichen, katastrophalen Bedingungen Kinder in anderen Weltgegenden leben müssen.

Bei Lichte betrachtet erweist sich das ganze hochgestochene „Glückstrainung“ der Sandra Gutekunst als nichts weiter als ein Kurs zur Seelenverhärtung und Seelenabstumpfung. Glück bedeutet für sie lediglich mollige Zufriedenheit auf unterstem  Bewußtseinsniveau, und herbeigeführt wird diese nicht zuletzt durch das Wissen, daß es andere auf dieser Welt sehr viel weniger mollig haben. Aber um das zu erfahren, bedarf es weiß Gott keines extra Glückstrainings.

Daß der Mensch, ob einzelner, ob Kollektiv, mit wirklicher Zufriedenheit gar nichts anfangen kann, weiß ja längst der Volksmund. Seine Natur ist zum Mäkeln geneigt, zum Herummosern, wie es in Berlin heißt, zum Granteln, wie es die Wiener ausdrücken. Er hält es nicht bei sich aus, er schaut über den Gartenzaun zum Nachbarn hinüber, und seine Laune verbessert sich umgehend, wenn es dem schlechter geht als ihm selbst. Das volle Maß der Zufriedenheit bestimmt sich erst im Vergleich mit der Lage des Nachbarn.

Mit dem, was seit Jahrtausenden als Glück bedacht und hin und her gewendet wird, hat das herzlich wenig zu tun. Alle Nachdenker waren sich stets darüber einig, daß das Glück gerade nicht gelehrt werden kann. Fortuna caeca est, das Glück ist blind – dieser antike Leitsatz wurde bisher von niemandem angezweifelt, wenn auch nicht jeder gleich so radikal formulierte wie der alte Diogenes in seinem Faß. „Ein Tropfen Glück ist mehr wert als ein ganzes Faß Gelehrsamkeit“, sagte der.

Eine nicht unbeträchtliche Fraktion plädierte dagegen schon immer dafür, daß das Glück, wenn nicht erlernt, so doch „erarbeitet“ werden könne, wenigstens teilweise. „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.“ Man müsse um  sein Glück kämpfen, müsse es nötigenfalls verteidigen. Freilich, der Ausgang dieses Kampfes, dieser Verteidigung bleibe bis zuletzt ungewiß, und er ende nie. Das Glück sei wie eine Wasserwelle, auf Höhen folgten Tiefen, und nur höchst selten erreiche es Gipfelpunkte, gleichsam Tsunamiformat. Doch gerade dann sei es auch am gefährlichsten, für den Glücklichen selbst wie für die Mitmenschen.

Und über noch etwas bestand Einigkeit: Die Formen des Glücks sind so unendlich vielfältig und in sich gegensätzlich, daß sich dafür nie und nimmer ein einheitliches Schema finden läßt. Der US-Verfassungsgrundsatz, daß jedermann das Recht habe, „nach dem Glück zu streben“ (pursuit of happiness), ist absolut töricht. Ob Recht oder nicht, jeder Mensch strebt spontan nach seinem Glück, und die Frage ist nur, ob seine Glücksvorstellungen mit dem Recht in Übereinstimmung zu bringen sind. Wenn nicht, muß er eben auf sein ganz spezielles Glück verzichten.

Im Zuge der modernen Hirnforschung macht sich neuerdings die Überzeugung breit, Glück bedürfe im Grunde gar keiner äußeren Umstände, denn es  sei nichts weiter als eine chemische Reaktion im Gehirn. Auch  die Glückstrainerin Gutekunst huldigt ja dieser Anschauung, wie wir vernommen haben, nur glaubt sie naiverweise, man müsse zunächst einmal „positiv denken“, weil angeblich nur dadurch glückverheißende biochemische Prozesse im Hirn erzeugt würden.

Pharmaindustrie und Psychotherapeuten sind da schon viel weiter. Am laufenden Band produzieren sie Ecstasy-Tabletten und andere neuartige Phenylethylamine, verschaffen ihnen Marktzugang, „beweisen“ ihre medizinische Harmlosigkeit, verschreiben sie an unzählige Patienten jeglicher Versicherungsklasse. Am Horizont erscheint als Ziel die Glückspille an sich und überhaupt, ohne alle Risiken und Nebenwirkungen. Mit der können dann endlich alle Weltprobleme auf einen Schlag gelöst werden. Jeder schluckt die Superpille – und ist wunschlos glücklich, braucht nicht mehr zu kämpfen und schon gar nicht mehr zu lernen.

Was für ein Unsinn! Eine Glückspille an sich und überhaupt wird es nie geben, es sei denn, der Mensch wäre kein Mensch mehr. Denn sehr schnell würden die Schlucker sich in ihrem Glücklichsein äußerst unwohl fühlen. Wie dichtete schon Hölderlin? „Schwer ist zu tragen /  das Unglück, aber schwerer das Glück“. Und aus Schuberts „Wanderliedern“ tönt es mit Urgewalt: „Dort, wo du nicht bist, / Ist das Glück“. Daran können weder Chemie noch Glückszeltlager à la Gutekunst je etwas ändern. Und das ist gut so.

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