© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

CD: Barocktenöre
Gegenspieler der Kastraten
Jens Knorr

Allein schon die Begleitmusik zu der Porträtplatte zu hören, die eigentlich einen Sänger, einen Tenor, herausstellen soll, macht Spaß. Die Begleitmusik liefert „The English Concert“ unter Bernhard Labadie zu Nummern von Conti, Vivaldi, Gasparini, Arne, Caldara, Alessandro Scarlatti, Boyce, Galliard und – auf den läuft alles zu – dem englischen „George Frideric Handel“, mit Witz und Biß, Rums und Bums, aber der Spaß immer mit Maß. Auf historischen Instrumenten spielend und selbstverständlich mit allen Wassern historischer Aufführungspraxis gewaschen, stellen die Musiker des Ensembles sich und ihr Können selbstbewußt aus und in Dienst des Sängers.

Dabei stellt die CD nicht einen Sänger heraus, sondern drei durch einen. Der 1964 in London geborene Tenor Ian Bostridge singt Arien – davon sechs erstmals eingespielt –, die für John Beard, Francesco Borosini und Annibale Pio Fabri geschrieben wurden, drei Tenöre des Barock, deren Erscheinen auf Bühne und Konzertpodium nicht weniger als einen Paradigmenwechsel einleitete. In eben den Gesangstechniken geschult, die vornehmlich von den Kastraten entwickelt wurden, traten sie zu diesen in Konkurrenz und liefen ihnen schließlich in der Gunst des Publikums und der Komponisten den Rang ab.

Den Engländer Beard entdeckte Händel unter den Choristen der Chapel Royal. Fabri aus Bologna war in der italienischen Opernindustrie bereits eine Berühmtheit, als er 1729 für zwei Saisons nach London kam und in Opern Händels reüssierte. Den Borosini aus Modena, der seit 1712 am Hof Karls VI. in Wien Ein- und Auskommen hatte, engagierte Händel 1724 für eine Saison an das Haymarket Theatre. Für die Wiederaufnahme von „Giulio Cesare“ hat er ihm die Partie des Sesto, ursprünglich eine Sopranpartie, zu einer Tenorpartie umgeschrieben. Auch der ersten Todesszene des Jahrhunderts für einen Heldentenor – die des Bajazet in Gasparinis Oper von 1719 – hat Borosini zur Geburt verholfen.

Die Musik der Kastraten hat in den Countertenören und auch in Cecilia Bartoli adäquate Interpreten gefunden, die ihr zu anhaltender Renaissance verhelfen. Bostridge nun rehabilitiert die Gegenspieler, die am Anfang der Geschichte des Tenor-Star(un)wesens stehen, wobei es bis zum hohen C, im Brustregister gestemmt, noch einige Jahre hin sein sollte. So sehr Bostridge Persönlichkeiten und Repertoire seiner drei Tenöre voneinander unterschieden weiß, gleicht er sie doch der seinen und den Möglichkeiten und Eigenheiten seiner Stimme an. Einige Töne haucht er nur flüchtig hin, glücklicherweise, ohne die Gesangslinie zu unterbrechen, einige Koloraturen rutschen ihm, very british, in die Nase. Und über die tiefen baritonalen Register, über die ein Borosini verfügt haben muß, verfügt ein Bostridge nicht.

Seine Fähigkeit aber, mit heißem Herzen zu singen, ohne die Stimme zu verbrennen, mit kühlem Verstand zu interpretieren, ohne daß die Interpretation unterkühlt wirkte, die Differenz zwischen Gestern und Heute singend darzustellen, ohne daß ihm das Gesungene in ein Gestern und Heute auseinanderbräche – das löst bei seinen Hörern entschiedene Reaktionen aus, gleichgültige kaum, und hebt Ian Bostridge aus dem heutigen tenoralen Einerlei deutlich heraus.

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