© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Fluchtpunkt Gartenlaube
Bedrohungen individuellen Glücks: „Kleiner Mann, was nun?“ in Dresden
Uwe Ullrich

Nachdem im vergangenen Jahr das Staatsschauspiel Dresden erfolgreich die dramatisierten Prosatexte „Der Goldene Topf“ von E.T.A. Hoffmann und „Der Turm“ von Uwe Tellkamp (JF 41/10) auf die Bühne brachte, gelangte jetzt eine Bühnenfassung von Hans Falladas 1932 inmitten der Weltwirtschaftskrise veröffentlichtem Erfolgsroman „Kleiner Mann, was nun?“ zur Premiere. Den Text bearbeiteten für die Inszenierung Barbara Bück, die zugleich Regie führte, und die Dramaturgin Julia Weinreich.

Wie reagierte vor einigen Jahrzehnten ein Mann, wenn seine Freundin ungewollt schwanger geworden ist? Kurz entschlossen verspricht er ihr die Heirat und hält sein Wort. Das Glück, die erträumte Idylle, kann seinen Lauf nehmen. So beginnt die Liebesgeschichte von Emma Mörschel, genannt das „Lämmchen“ (Karina Plachetka), und dem von ihr liebevoll „Junge“ titulierten Johannes Pinneberg (Christian Erdmann). In der Familie des Proletarierkindes ist der kleine Angestellte, der Schlipsträger nicht willkommen. Es rührt nicht an beider Zuneigung. Die wirklichen Gefahren lauern in der Arbeitswelt. Weltwirtschaftskrise. Horrend steigende Massenarbeitslosigkeit. Mittendrin Johannes Pinneberg, der monatlich hofft, nicht zu den Entlassenen zu gehören.

Eines Tages wird der Buchhalter nicht mehr gebraucht. Ungestraft darf niemand die Tochter des Arbeitgebers verschmähen. Jedoch, Hoffnung ist in Sicht. Auf nach Berlin! Dem Provinznest den Rücken gekehrt, denn in einem Brief an „Lämmchen“ kündigte die ihr noch unbekannte Schwiegermutter an, für den Sohn eine Verkäuferstelle im renommierten Kaufhaus Mandel organisiert zu haben. Als sie in der Hauptstadt ankommen, ist noch nichts wegen der Arbeitstelle geklärt. Nachdem er doch noch auf Vermittlung des gegenwärtigen Liebhabers der Mutter dort seinen Dienst aufnehmen kann, beginnt ein böses Spiel mit Intrigen und unerhörtem Leistungsdruck aus den „oberen Etagen“ auf die Verkäufer der Herrenkonfektion zu lasten.

Vorerst wohnen sie bei der verwitweten Mia Pinneberg, die ihnen für ein möbliertes Zimmer mehr als die Hälfte des monatlichen Gehaltes des Sohnes erbarmungslos abknöpft. Als im Kaufhaus ruchbar wird, daß das Ehepaar Pinneberg dort in einem zwielichtigen Milieu aus Schiebern, Falschspielern und Amüsiermädchen wohnt, mieten sie sich in ihrer Not in einer minderwertigen Wohnung ein. Welcher Vermieter will schon in seinem Haus das Schreien eines Neugeborenen hören und den Geruch frisch gewaschener Windeln ständig in der Nase haben?

Mehr und mehr wird Pinneberg vom steten Leistungsdruck im Kampf um die Erfüllung des Verkaufssolls erdrückt. Er beginnt zunehmend seine Contenance im Umgang mit Kollegen und Kunden zu verlieren. Nur der inzwischen geborene Sohn Ulrich, genannt das „Murkel“, gewährt ihm zeitweise ein Glücksgefühl. Aber die Entlassung ist trotz aller Anpassung nicht zu verhindern. Ihr Fluchtort wird eine vor der Stadt gelegene Gartenlaube.

Pinneberg geht stempeln, seine Frau versucht mit Reinigungs- und Näharbeiten den schmalen Haushaltsetat aufzubessern. Er wird immer mutloser. Als den verwahrlost Aussehenden ein Polizist von den gut drapierten Schaufenstern davonjagt, glaubt er, mit dem anständigen Leben sei es nun zu Ende. Aber selbst in dieser Situation größter materieller Not und sozialer Unsicherheit bleibt „Lämmchen“, voller unermüdlicher Energie und Lebenskraft, optimistisch und nimmt beherzt das Leben ihrer Lieben pragmatisch in die Hände.

Die Bühnenfassung des Staatsschauspiels folgt im wesentlichen der Romanvorlage Falladas, welche sentimental, sozialkritisch und romantisch verklärt erzählt. Mit nur wenigen Sätzen werden parteipolitische Konstellationen und gesellschaftliche Verhältnisse angedeutet. Kurze Szenenfolgen forcieren den Spannungsbogen. Recht deutlich wird das unterschiedliche Lebenstempo in dem beschaulichen Provinznest dargestellt und die hektische Großstadt Berlin ins Geschehen eingebracht. Immer schwingt der stete Wechsel zwischen harmoniebedürftiger Privatsphäre und dem sich ungehemmt steigernden Aktionismus im Beruf mit, treibt den Handlungsstrang unaufhaltsam voran.

Geglückt ist die Balance zwischen der Darstellung historischer Gegebenheiten, den heutigen Maßstäben und der Vergleichbarkeit mit der Gegenwart. Unaufdringlich, aber präsent. Das Agieren unterstützen einfache Verfremdungseffekte, die zwischen den Charakteren der Revue, Kabarett und Satire changieren. Mit wenigen Handgriffen, Gegenständen und Interieur verändert sich laufend die Spielstätte: Arbeits- und Verkaufsraum oder Wohnung. Die Bühnenausstattung von Anke Grot unterstützt augenfällig die Dichte der Szenenfolgen.

Die über fast drei Stunden währende kurzweilige Darstellung und stimmige Ensembleleistung honorierte das begeisterte Premierenpublikum mit lange anhaltendem Beifall.

Die nächsten Vorstellungen von „Kleiner Mann, was nun?“ im Staatsschauspiel Dresden, Theaterstraße 2, finden statt am 18. und 30. Januar, 10., 22. und 27. Februar sowie am 5. März. Kartentelefon: 03 51 / 49 13-555.  www.staatsschauspiel-dresden.de

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