© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Umwelt
Geschenk der Natur
Volker Kempf

Die Natur schenkt uns eine individuelle Lebenszeit. Diese muß verlängert werden. Dafür gilt es entsprechende Gene ausfindig zu machen. Wenn das gelingt, kann ein Mensch länger leben als 120 Jahre. Aber würden Klagen darüber, ein Menschenleben sei zu kurz, wirklich weniger werden? Die entscheidenden Fragen des Lebens kommen bei solch einer Lebensverlängerung zu kurz. „Das Leben ist lang, wenn man es richtig nutzt“, gab Seneca vor fast 2.000 Jahren zu bedenken. Wie nutzt man die eigene Lebenszeit aber richtig? Sicher nicht dadurch, daß man sich „mit nimmermüder Emsigkeit fruchtlosen Dingen“ widmet, sich in Wein „ersäuft“ oder in „Raffgier“ verliert. Das Leben braucht eine klare Richtung. Dafür ist nach Seneca das Streben nach Wahrheit wichtig.

Dazu bedarf es der Besinnung. Erst dann ist ein Menschenleben den Wogen gewachsen. Ein Leben wie ein Blatt im Wind ist hingegen ein vergeudetes Leben. Leben heißt, sich den Widerständen und Herausforderungen mit Bedacht zu stellen. Gerade in Zeiten der Zerstreuung an Computern, Spielekonsolen oder Fernsehapparaten ist Seneca aktueller denn je. Denn die Frage nach der von der Natur geschenkten Lebenszeit gewinnt angesichts der vielfältigen Unterhaltungsmedien an Bedeutung. Klagte Arthur Schopenhauer noch darüber, daß man zu den vielen Büchern, die erscheinen, nicht auch die Zeit zum Lesen mitkaufen kann, so kann man heute darüber klagen, daß die Zeit für all die Filme, Fernsehserien oder die manche regelrecht süchtig machenden sozialen Netzwerke (Facebook, Twitter & Co.) nicht mitgeliefert wird. Zeitverschwendung lauert heute fast überall, sie ist die Verlockung der gegenwärtigen Epoche überhaupt. Ein paar Gene zu verändern löst dieses Problem mit Sicherheit nicht. Die Wissenschaft kann viel, aber die zentralen Fragen des Lebens beantworten kann sie nicht.

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