© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Scherbengericht
Die Porzellanmanufaktur in Meißen besteht seit 1710 – nun muß sie sich neu erfinden
Paul Leonhard

Meissener Porzellan verkörpert die europäische Tischkultur von 300 Jahren. Nun hat die weltberühmte Porzellan-Manufaktur in Meißen selbst „weißes Gold“ zerschlagen. Zentnerweise. Noch dazu mit voller Absicht. In einer geheimen nächtlichen Aktion hat das Unternehmen im Oktober 2010 größere Mengen eingelagerten Porzellans von Mitarbeitern zerschlagen lassen, das als unverkäuflich galt. Dabei ging es aber so laut zu, daß Anwohner die Polizei alarmierten. Die wurde seinerzeit mit der Erklärung, es handele sich um einen Polterabend, weggeschickt. „Irrer Polterabend bei Meissener“, titelte die Morgenpost am Sonntag.

Durch das Vernichten der unverkäuflichen Bestände habe man Steuern sparen wollen, erklärte das Unternehmen anschließend. Im Mittelpunkt der Kritik steht der neue Geschäftsführer Christian Kurtzke, der den „Polterabend“ veranlaßt hatte. Viele Porzellanliebhaber hätten sich stattdessen lieber eine öffentliche Versteigerung gewünscht. Diese Variante hätte auch Thomas Meyer, Präsident des Bundes der Steuerzahler Sachsen, favorisiert: „Ich frage mich, wieso in einem subventionierten Staatsbetrieb angeblich unverkäufliche Ware produziert wird.“ Mittlerweile ging bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden eine anonyme Anzeige gegen Vorstand und Aufsichtsrat wegen Betrugs und Steuerhinterziehung ein, wobei dem Aufsichtsrat pikanterweise Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf vorsteht. Ausgerechnet in seinem Jubiläumsjahr gerät das Unternehmen immer wieder in die Schlagzeilen.

Nachdem Johann Friedrich Böttger 1708 das erste europäische Porzellan erfunden hatte, wurde 1710 die Porzellan-Manufaktur Meissen gegründet und erhielt als Schutzzeichen die „Chur-Schwerdter“ aus dem kursächsischen Wappen. Seitdem sind die gekreuzten blauen Schwerter das Markenzeichen einer der ältesten Luxusmarken der Welt. Besonders berühmt wurde das von Johann Joachim Kändler für den Grafen von Brühl gefertigte Schwanenservice mit seiner Kleinfigurenszene. Der Adel stand in Meißen Schlange, um das Porzellan zu erwerben. Später eroberte es auch die Wohnstuben des Bürgertums.

Zu DDR-Zeiten war die Manufaktur ein wichtiger Devisenbringer für den SED-Staat. Nach der politischen Wende ging das Unternehmen in das Eigentum des Freistaates Sachsen über, der es als Teil der europäischen Kulturgeschichte aufwertete und gleichzeitig zur „Unterhaltung und Erweiterung eines kunsthistorischen Porzellanmuseums zur Pflege und Förderung sächsisch-deutschen Kulturgutes“ verpflichtete.

Die Produktion von Meissener Porzellan galt als konkurrenzlos und als wichtige staatliche Einnahmequelle. Indessen ist die klassische Tisch- und Tafelkultur europaweit auf dem Rückzug. Wie es tatsächlich um das Unternehmen bestellt war, wurde erst bekannt, als der 41jährige Kurtzke die Geschäftsführung übernahm. Zwischen dem Jahr 2000 und 2008 sank der Umsatz von 42 auf 31,5 Millionen Euro. 2010 mußten 180 der 780 Mitarbeiter entlassen werden. Zwar wächst der Umsatz wieder, doch der ehrgeizige Geschäftsführer möchte das Kerngeschäft neu ausrichten. Offenbar will man künftig auch Tapeten, Teppiche und Tische verkaufen – alles, was zur stark gehobenen Wohnkultur gehört. Längst sind nicht nur in der Manufaktur hergestellte Porzellanprodukte aller Art geschützt, sondern auch Druckerzeugnisse, Lederwaren, Parfüme, Textilien und Kosmetika.

Foto: Hochgradig dekorativ: Das „weiße Gold aus Meißen“ verführt nicht nur die Sinne der Frauen

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