© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

„Was jetzt passiert, ist Wahnsinn“
Er war einer der begeistertsten Euro-Befürworter. Doch Hans-Olaf Henkel ist vom Saulus zum Paulus geworden. Sein neues Buch klagt an, wie die Politik das Projekt verraten hat und in einem „Putsch“ gegen Volk und Verfassung den EU-Zentralstaat schafft
Moritz Schwarz

Herr Professor Henkel, Sie haben als erster prominenter Euro-Befürworter öffentlich erklärt, daß dessen Einführung falsch war. Keiner der übrigen Verantwortlichen ist Ihnen gefolgt. Warum sind Sie der einzige?

Henkel: Die meisten haben ihre Meinung nicht geändert. Etliche Leute sind allerdings inzwischen durchaus meiner Ansicht, wagen nur nicht, das offen zu äußern.

Warum nicht?

Henkel: Weil das „Rütteln“ an einem Einheitseuro zu einem Tabu geworden ist.

In Ihrem neuen Buch „Rettet unser Geld! Wie der Euro-Betrug unseren Wohlstand gefährdet“ widmen Sie der „Maulkorb-Republik“, wie Sie sagen, ein eigenes Kapitel.

Henkel: Kommt ein Thema auf, das sich mit der üblichen Weise zu denken nicht vereinbaren läßt, wird es zum „Unthema“ erklärt. Wer sich nicht daran hält, bekommt einen Maulkorb verpaßt. Natürlich wird das nicht offen zugegeben, sondern verblümt: Man erklärt das Problem für nichtexistent oder – strafbewehrt – zur „Leugnung“ offenbarer Tatsachen, womit jeder, der es anspricht, ein „Irrer“ oder ein Gesetzesbrecher ist. 

Der „Spiegel“ hat Sie ob Ihres Buches verächtlich den „Euro-Sarrazin“ genannt.

Henkel: Das empfinde ich nicht als Beleidigung, im Gegenteil. Die Wort-Schöpfung ist auch nicht falsch, denn ich wünschte mir, daß in Sachen Euro auch einmal mit einer ähnlichen Offenheit die Fakten auf den Tisch kämen, wie durch Sarrazin beim Tabu Integration. Der Spiegel irrt allerdings darin, mir damit auch das Reiten eines populären Themas zu unterstellen.

Ihr Buch trifft doch den Nerv der Zeit?

Henkel: Es stimmt, daß ich bei vielen Bürgern viel Applaus bekomme, aber andererseits ist „Rettet unser Geld!“ nach zwei-, dreimaligem schüchternen Auftauchen in der Spiegel-Bestseller-Liste daraus wieder verschwunden, während Thilo Sarrazins Buch dort zum Glück immer noch Platz eins belegt.

Was schließen Sie daraus?

Henkel: Die Bürger empört, daß die Politik alle wichtigen Versprechen zum Euro gebrochen hat. Da findet mein Buch große Zustimmung, aber das ist nicht das Gleiche wie Kritik am Euro an sich.

In einigen Medien wird über das Entstehen einer neuen Anti-Euro- beziehungsweise Pro-D-Mark-Partei spekuliert.

Henkel: Täuschen Sie sich da nicht.

Die Leute fordern Sie doch inzwischen reihenweise auf, eine Partei zu gründen.

Henkel: Das stimmt, ich bekomme fast täglich entsprechende Zuschriften. Meist wird vorgeschlagen, ich sollte mich dazu mit Friedrich Merz, Roland Koch, Wolfgang Clement, Thilo Sarrazin und anderen zusammentun. Aber es tut mir leid, das kann man vergessen.

Warum?

Henkel: Weil wir ein politisches System haben, in dem die Parteien eine im Vergleich zu anderen Demokratien übermächtige Rolle haben; oft zu Lasten der Rechte der Bürger. Quereinsteiger haben da, wie neue Parteien auch, keine Chance. Außerdem fände eine D-Mark-Partei auch beim Wähler wohl kaum Anklang.

Wie kommen Sie darauf?

Henkel: Die Deutschen haben zwar ein sehr romantisches Verhältnis zur D-Mark, aber wenn man sie ernsthaft mit einer Aufgabe des Euros konfrontierte, würde man schnell feststellen, wie sehr die meisten sich inzwischen an die Bequemlichkeiten des Euros gewöhnt haben, etwa damit problemlos im europäischen Ausland zahlen zu können. 

Bei seiner Einführung hätte der Euro in einer Volksabstimmung keine Chance gehabt. Sie meinen, er ist – trotz Teuerung und Milliardenkrise – seitdem beliebter geworden?

Henkel: Erstens hat man sich, wie gesagt, an ihn gewöhnt. Zweitens gibt es einen Generationswechsel: Wer nicht mehr mit der Mark, sondern dem Euro groß geworden ist, hat kaum ein Verhältnis zu ihr. Und drittens, und das vor allem, sind die Bürger inzwischen einer Gehirnwäsche unterzogen worden – ich kann das nicht anders sagen.

Konkret?

Henkel: Das Programm dieser Gehirnwäsche heißt „Alternativlosigkeit“.

Angela Merkels Rechtfertigung für den Bruch der „No-Bailout“-Klausel des Euro-Vertrags während der Griechenlandkrise.

Henkel: Da sind wir wieder beim Maulkorb. Den Leuten wird mit vereinten Kräften durch die Politiker und die meisten Medien so lange vorgemacht, es gäbe keine Alternative, bis sie es glauben.

Sie sind allerdings mit „Rettet unser Geld!“ in diverse Talkshows geladen worden.

Henkel: Das stimmt. Aber sonst wird weitgehend so getan, als gäbe es keine Alternativen, und die gibt es! Selbst eine Rückkehr zu den nationalstaatlichen Währungen wäre besser als der EU-Zentralstaat, auf den die jetzige „alternativlose“ Politik letztendlich hinausläuft. Oder der Vorschlag, für den ich eintrete – aber der wird in den Medien meist lächerlich gemacht oder einfach als „undurchführbar“ abgetan.

Warum ist er es doch?

Henkel: Wir haben in Europa zwei Finanzkulturen: Eine im Norden mit wenig Toleranz gegenüber Inflation und mit der Bereitschaft, regelmäßige Aufwertung zu ertragen. Im Süden dagegen ist Inflation und Abwertung toleriert. Die Rettungsschirme dienen dazu, diese Kulturen krampfhaft zusammenzuhalten. Wenn man sie aber ganz natürlich wieder auseinanderdriften ließe, bräuchte man die Rettungsschirme nicht mehr. Deshalb ist mein Vorschlag, die unterschiedlichen Realitäten auch in der Währung zu reflektieren, indem man den Euro in zwei Währungen aufteilt: Eine Nord-Euro-Zone mit Deutschland, Österreich, Holland, Finnland – übrigens auch Irland  – und anderen und eine Süd-Euro-Zone mit Portugiesen, Spaniern, Italienern, Griechen, Franzosen etc.

Die EU wurde nach 1945 geschaffen, der Euro als Preis für die Wiedervereinigung 1990 verlangt, um Deutschland kleinzuhalten. Mit einer Zweiteilung würde de facto eine „großdeutsche“ Nord-Euro-Zone entstehen, die Berlin dominiert. Das wäre aus französischer Sicht eine Verdrehung des Zwecks des Euros in sein Gegenteil. Paris wird schon deshalb nie zustimmen.

Henkel: Warum sollte es nicht? Die Dominanz unseres Landes ist schon heute nicht mehr so groß wie zur Zeit der Euro-Einführung. Grund ist unser Demographie-Problem, das in Zukunft noch zunehmen wird. Und vergessen wir nicht den Dritten im Bunde: Großbritannien, welches uns in der Bevölkerungszahl bald überholen wird. Es stimmt, daß die Franzosen gegenüber uns einen Komplex haben. Aber der ist immer weniger sachlich begründet. Übrigens hatten wir vor der Einführung des Euro schon eine ähnliche Situation: Die Währungen verschiedener kleiner Länder waren damals bereits eng mit der D-Mark verknüpft.

Das wurde als Übergang zu einer einheitlichen Währung akzeptiert.

Henkel: Und jetzt würde es als Rettung davor, sonst in den Schuldensog der Süd-Länder gezogen zu werden, akzeptiert.

Was genau hat Sie eigentlich vom enthusiastischen Euro-Freund zum Kritiker gemacht?

Henkel: Eigentlich nicht der Euro, sondern die Politik. Wenn die Politik nicht ein Versprechen nach dem anderen gebrochen hätte, wäre ich wahrscheinlich auch heute noch ein Euro-Anhänger, denn ich glaube immer noch – und das unterscheidet mich auch von den Euro-Kritikern der ersten Stunde –, daß der Euro hätte gelingen können, wenn die Regeln befolgt worden wären. Doch die Enttäuschungen begannen schon vor der offiziellen Euro-Einführung 2002, als Chirac und Schröder 2000, gegen den Rat vieler Experten und zu meinem Entsetzen, beschlossen, Griechenland in den Euro aufzunehmen. Das war schon auf grund der damals offiziellen Zahlen – die wie wir heute wissen obendrein getürkt waren – falsch. Die nächste Erschütterung war, daß ausgerechnet Frankreich und Deutschland zu den ersten Defizit-Sündern gehörten. Und das, obwohl es damals keine Krise gab – die Stabilitätskriterien wurden also ohne jede Not gebrochen! Mich hat das empört, aber sonst offenbar keinen. Und dann haben es Chirac und Schröder auch noch geschafft, die Kommission davon abzubringen Strafmaßnahmen zu verhängen. Das Faß zum Überlaufen brachte aber schließlich das Brechen der No-Bailout-Klausel in der Griechenlandkrise 2010, also die Aufgabe des Grundsatzes, daß jedes Land für seine Schulden selbst verantwortlich ist und die Gemeinschaft nicht einspringt.

In Ihrem Buch nennen Sie das: „Putsch“

Henkel: Ich habe mir lange und genau überlegt, ob der Vorwurf gerechtfertigt ist.

Zu Lasten von?

Henkel: Zu Lasten der Bürger, der europäischen Völker und der Demokratie. Die Parlamente haben damals eine Währungsunion beschlossen und keine Transferunion. Die haben wir jetzt – ohne Debatte, ohne demokratischen Beschluß, als „Nebenprodukt“ des Euro! Und niemand geringeres als die französische Finanzministerin  Christine Lagarde hat das vor rund einer Woche zugegeben. Spätestens da hätte es doch richtig rauschen müssen im deutschen Blätterwald! Aber Fehlanzeige. Dabei ist es Wahnsinn, was jetzt passiert: Wir stürzen uns unter dem Ruf „Wir müssen den Euro retten!“ in einen EU-Zentralstaat. 

Die Strategie erinnert tatsächlich an den Kapp-Putsch in Deutschland von 1920: Eines Tages sollen die Bürger aufwachen und in einem neuen Staat leben.

Henkel: Ich bin kein Historiker, aber die Bestimmungen des Rettungsschirms etwa sind einfach so festgelegt worden, daß die Finanzminister selbst entscheiden können, wann sie die nächsten Milliarden verteilen. Dazu brauchen sie nicht einmal mehr die Regierungschefs, geschweige denn die Parlamente. Die FAZ hat das ein „finanzielles Ermächtigungsgesetz“ genannt und genau das ist es!

Die Bundeskanzlerin hat es kritisiert.

Henkel: Ich fürchte, Frau Merkel hat noch gar nicht kapiert, daß sie nur noch ein Bauer auf dem Schachbrett derer ist, die dabei sind, aus Europa einen Zentralstaat zu machen. Sie hat gefordert, Griechenland müsse raus – Griechenland blieb. Dann wollte sie einen Automatismus disziplinarischer Maßnahmen einführen – nichts ist passiert. Dann verlangte sie Dauer-Defizit-Sündern das Stimmrecht zu entziehen – ohne Erfolg. Schließlich sollten Privatbanken in die Pflicht genommen werden – wieder nichts. Sieht man von kosmetischen Einflüssen ab, hat sie sich nicht einmal durchgesetzt. Doch absurderweise feiert die deutsche Presse sie in dieser Krise fast einmütig als durchsetzungsstark. Es ist gespenstisch!

Wie sieht das kommende Regime aus?

Henkel: Man könnte sagen, wir sind dabei, den deutschen Länderfinanzausgleich auf die EU zu übertragen. Wenn dort ein Empfängerland einen Euro ausgibt, bekommt es 97 Cent zurück. Wenn ein Geberland einen Euro spart, muß es dafür 97 Cent abgeben. Ergebnis: keiner spart! Wozu auch? Wenn etwa Klaus Wowereit in Berlin den Wählern kostenlose Kita-Plätze verspricht, dann bezahlen das die Eltern in Baden-Württemberg, Hessen und Bayern – die obendrein für ihre eigenen Kinder zahlen. Da darf man sich nicht wundern, wenn die Politiker in diesen Ländern ihren Bürgern bald auch kostenlose Plätze versprechen. Die Abwärtsspirale des Wettbewerbs „Wer bekommt das meiste aus dem Topf?“ ist eröffnet. Deutschland wird also in Zukunft zum Beispiel die zweifellos üppigen Wahlgeschenke von Sozialpopulisten in anderen Ländern bezahlen. Und das wird langfristig auch die Reste von Disziplin in Deutschland beeinflussen.

Gibt es einen Ausweg?

Henkel: Ich habe immer noch die Hoffnung, daß das Bundesverfassungsgericht den Bruch von Demokratie und Verfassung verhindert. Deshalb bin ich auch der Verfassungsbeschwerde gegen den Eurostabilisierungsmechanismus und gegen die Griechenland-Hilfe beigetreten.

Was wenn nicht?

Henkel: Dann bekommen wir durch die Hintertür das „Vaterland Europa“ statt eines „Europas der Vaterländer“, dürfen wir uns im Namen der Solidarität an der Sanierung anderer Länder beteiligen: Aber noch schlimmer ist die schrumpfende Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents.

 

Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel, war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und danach Vorsitzender der Leibniz-Gemeinschaft. Geboren wurde Henkel 1940 in Hamburg. Heute berät der ehemalige IBM-Manager unter anderem die Bank of America, das größte Kreditinstitut der USA, und ist Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender der renommierten Reforminitiative „Konvent für Deutschland“. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, zuletzt „Kampf um die Mitte“ (2007), „Die Abwracker. Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen“ (2009) und jüngst: „Rettet unser Geld! Wie der Euro-Betrug unseren Wohlstand gefährdet“ (Heyne). Das Buch empfiehlt der Ex-Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin mit den Worten: „Man möchte es zur Pflichtlektüre für jeden Bundestagsabgeordneten machen, damit der Regierung endlich die richtigen kritischen Fragen gestellt werden.“

 www.konvent-fuer-deutschland.de

 

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