© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

„Hetzen und Verleumden“
Ursula Sarrazin: Prominente Lehrerin fühlt sich gemobbt / Elternschaft gespalten
Hinrich Rohbohm

Soll Ursula Sarrazin für das von ihrem Mann veröffentlichte Buch „Deutschland schafft sich ab“ büßen? Nachdem Thilo Sarrazin im vorigen Jahr nach der Veröffentlichung seines Buches unter politischem und medialem Trommelfeuer seinen Posten im Bundesbankvorstand verloren hat, steht nun seine Frau unter Beschuß. Dabei ist sie „nur“ eine Grundschullehrerin. Halbtags.

Demnächst soll ein Schlichter über das weitere Schicksal der Lehrerin entscheiden, die für einige an ihrer Schule inzwischen als untragbar gilt. Was ist passiert? Türkische Eltern hatten sich über die 59 Jahre alte Deutsch- und Mathematiklehrerin an der Reinhold-Otto-Grundschule in Berlin-Charlottenburg beschwert. Zu streng würde sie sein, schreien, einschüchtern, beleidigen. So lauten die Vorwürfe. Auch deutsche Kinder sind betroffen: „Mein jüngster Sohn kam völlig geknickt nach Hause, wenn er bei Frau Sarrazin Unterricht hatte“, zitiert die Frankfurter Rundschau eine Mutter namens Stefanie Liebermann. Und ein japanisch-deutsches Ehepaar hat sich darüber beschwert, daß der Name ihres Sohnes wiederholt als „Suzuki“ verballhornt worden sei.

Ist Ursula Sarrazin tatsächlich die „Oberlehrerin der Nation“ (Stern)? Mobbt sie ihre Schüler? Oder wird sie gemobbt. Es gibt auch viele Eltern, die zu ihr halten. Die Vorwürfe gegen sie sind alt. Es gibt sie seit Jahren. Ungefähr so lange, wie ihr Mann mit spektakulären Thesen zum Sozialstaat und zur Einwanderung von sich reden macht. „Sie hetzen und verleumden im Verborgenen, aber sie zeigen sich nicht“, beschwert sie sich in dieser Woche im Focus-Interview über die Eltern. Sie bleibt dabei: „Ich bin konsequent, aber autoritär bin ich nicht.“

Rückendeckung von ihrem Schulleiter erhält sie nicht. Ganz im Gegenteil. Seit der Buchveröffentlichung wird sie von ihm regelmäßig kritisiert. Er soll heimlich ihre Klassenbücher kontrollieren, weist sie zudem plötzlich darauf hin, sie müsse regelmäßiger in ihr Postfach schauen. Sie wird gemaßregelt, weil sie sechs Minuten zu spät beim Unterricht erscheint. Und weil ein Übungsdiktat zwei Stunden gedauert hatte, hagelte es auch dafür noch Kritik. Ursula Sarrazin bestreitet die Anschuldigungen der Eltern. Die geballte Form der Anschuldigungen bezeichnet sie als Mobbing.

Motive dafür gibt es jedenfalls reichlich. Die Pädagogin ist die Frau von Thilo Sarrazin. Jenem Mann, der mit „Deutschland schafft sich ab“ und der damit verbundenen Kritik an Multikulti, Integrations- und Bildungspolitik  einen einmaligen Buchbestseller landete. Und damit in der politischen Klasse des Achtundsechziger-Polit-Establishments zum Staatsfeind Nummer eins auserkoren war, noch bevor sein Werk über den Ladentisch gereicht wurde. Die Bundeskanzlerin hatte als erste zur Treibjagd auf den 65 Jahre alten Ex-Finanzsenator geblasen. Der Bundespräsident und Polit-Funktionäre aller Couleur folgten ihr. Thilo Sarrazin mußte schließlich als Bundesbankvorstand seinen Hut nehmen. Seiner Popularität und dem medialen Interesse an seinen Aussagen schadete das nicht. Aussagen, an denen auch Ehefrau Ursula maßgeblichen Anteil hatte.

„Halt’s Maul“ ist oft auf Transparenten von Linksradikalen, die gegen Thilo Sarrazin und sein Buch protestieren, zu lesen. Jetzt soll offenbar seine Frau das „Maul“ halten. Die aber ist längst in die Offensive gegangen. Sie gibt Interviews, schildert ihre Sicht der Dinge, während ihren Kollegen ein Maulkorb umgehängt worden ist. Sollte es sich bei den Vorgängen an der Reinhold-Otto-Schule tatsächlich um Mobbing handeln, um Ursula Sarrazin aus ihrem Beruf zu drängen, so könnte sich das für ihre Gegner schnell zu einem Bumerang entwickeln. Zu sehr liegt der Gedanke an Rache durch Sarrazin-Gegner auf der Hand.

Hinzu kommt, daß jetzt auch noch eine Debatte über die linke Kuschelpädagogik beginnt. Eine Diskussion, bei der die Sarrazins mit den Sympathien weiter Teile der deutschen Bevölkerung rechnen können. Und selbst wenn die 59jährige ihr Lehramt am Ende tatsächlich abgeben sollte: Es dürfte ihr genausowenig schaden wie der Rückzug ihres Mannes aus dem Vorstand der Bundesbank. Das „Maul“ wird sie dann sicher erst recht nicht halten.

 

Schulpolitik

Thilo Sarrazin hat mehrere Male schriftlich und mündlich berichtet, daß die Erfahrungen und Erlebnisse seiner Frau Ursula erheblichen Einfluß auf den bildungspolitischen Teil des Buches hatten. So schreibt er beispielsweise: „Wenn der heutige Hauptschulabschluß nach zehnjähriger Schullaufbahn jenes Niveau an Leseverständnis und Grundschulmathematik sicherstellen würde, daß man 1955 in einer fünfzigköpfigen Klasse mit Abschluß des vierten Schuljahres erwerben konnte, dann wäre man heute bildungspolitisch und in bezug auf die Qualifikation für den Arbeitsmarkt wesentlich weiter.“ Das Leistungsniveau sei leider immer weiter gesunken.

Foto: Thilo Sarrazin und seine Frau Ursula: Mediales Trommelfeuer

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