© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Aufholjagd mit Hindernissen
SPD: Auf ihrem Weg zurück an die Macht machen sich die Sozialdemokraten das Leben selber schwer
Paul Rosen

Für die Sozialdemokraten könnte das Jahr 2011 mit einem Riesenerfolg beginnen: In Hamburg wird ihrem Spitzenkandidaten Olaf Scholz bei der Bürgerschaftswahl am 20. Februar die absolute Mehrheit, auf jeden Fall aber ein haushoher Sieg und die Ablösung der CDU-Regierung vorausgesagt (JF 4/10). Schöne Aussichten eigentlich, wenn der Zustand der Partei und vor allem der Bundestagsfraktion besser wäre.

Zum Jahresanfang wollten die Genossen Einigkeit demonstrieren und hielten Klausurtagungen von Parteiführung und Fraktion ab. 2011 werde ein „Jahr der Klärung und der politischen Profilierung“, verspricht Parteichef Sigmar Gabriel. Jüngste Umfragen bescheinigen seiner Partei eine Erholung von der katastrophalen Wahlniederlage von 2009. Bekam die SPD bei der Bundestagswahl 23 Prozent, was einen Verlust von 11,2 Punkten bedeutete, so sieht die jüngste ZDF-Umfrage sie immerhin wieder bei 29 Prozent.

Um potentielle Wähler wieder von den sich in einem demoskopischen Hoch von 18 Prozent sonnenden Grünen zurückzuholen, ersann Gabriel eine andere programmatische Ausrichtung unter dem Motto „Neuer Fortschritt und mehr Demokratie“. Damit will sich die SPD vom rein quantitativen Wachstumsbegriff, den sie Union und FDP vorwirft, ebenso absetzen wie von den Grünen, denen vorgehalten wird, lediglich eine Ablehnungskultur zu zelebrieren.

„Wir wollen dem Fortschritt wieder eine gesellschaftliche Richtung geben“, fordert Gabriel und macht deutlich, daß seine neuen Rezepte sehr alt und wohlbekannt sind und sich in einem Satz zusammenfassen lassen: Der Staat soll es richten. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fiel auf, es gehe der SPD „also um einen selektiven, staatlich sanktionierten Fortschritt, der ökologisch und nachhaltig daherkommen soll“.

Die zentralen Forderungen der SPD wurden schon oft gehört: Entlastung der mittleren und kleineren Einkommen, mehr Geld für die Bildung. Diese Forderungen sind Pawlowschen Reflexen nicht unähnlich. Und was früher der „Jäger 90“ für die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier war, sind heute solche Begriffe wie „Erhöhung des Spitzensteuersatzes“ oder „Abschaffung des Ehegattensplittings“: Variablen zur Pseudo-Gegenfinanzierung von höheren Bildungsausgaben, deren Sinn nie hinterfragt wird. Fest steht nur: Die Bildungsausgaben steigen genauso rapide wie das Bildungsniveau der Deutschen sinkt.

Selbst diese Worthülsen und Formeln, die ernsthaft mit Politik befaßte Menschen nicht besonders ernst nehmen können, sorgten jedoch in der SPD für schwere Auseinandersetzungen. Der linke Parteiflügel lief Sturm gegen die vorgeschlagene Entlastung der Kleinverdiener: „Eine allgemeine Entlastung über die Senkung von Steuern oder Sozialabgaben dagegen lehnen wir ab“, heißt es in einem Positionspapier der Parteilinken, in dem auch noch mehr Geld für die Bildung gefordert wird. Die frühere hessische SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti warnte ihre Partei in der Frankfurter Rundschau davor, „ihre ureigene Idee einer gerechten und solidarischen Gesellschaftsordnung eines demokratischen Sozialismus aufzugeben“.

Dabei hatte Gabriel doch schon einiges an unbequemen Forderungen wie die Rente mit 67 über Bord geworfen, und von Gerhard Schröders Agenda 2010 will er auch nicht mehr viel wissen. Das ständige Hin und Her gefiel wiederum dem rechten Parteiflügel nicht, der sich im „Seeheimer Kreis“ zusammengeschlossen hat. Die „Seeheimer“ warfen der Parteiführung in einem Papier vor, „keine schlüssige Antwort auf die Frage vieler Menschen, wofür sie steht“, zu haben. Die Partei leide an einer „schweren Identitätskrise“.

Eine permanente Führungskrise kommt hinzu. Gabriel werde, befand der Spiegel, sein „Sponti-Image“ nicht los und wegen seiner Sprunghaftigkeit als „personifizierter Risikofaktor“ angesehen. Dagegen sei Frank-Walter Steinmeier, der Kanzlerkandidat von 2009, „unumstrittener Fraktionsvorsitzender“. In diesem Punkt irrt das Hamburger Magazin. Steinmeier hat es – auch wenn man seine Amtspause zur Nierenspende an seine Frau berücksichtigt – nicht geschafft, die SPD-Fraktion zu einer schlagkräftigen Mannschaft zu entwickeln.

146 sozialdemokratische Abgeordnete im Bundestag gibt es noch, 76 weniger als 2005. Die gerissenen Lücken wurden nicht geschlossen. In der Fraktion herrscht Lethargie. Parlamentarische Initiativen kommen von den Grünen und von den Linken, die zudem über das bessere Führungspersonal verfügen. Gregor Gysi (Linkspartei) sowie die Grünen Jürgen Trittin und Renate Künast können Parlamentsdebatten Schwung geben und damit die TV-Nachrichten erreichen. Steinmeier wirkt stets wie der Amtschef eines Ministeriums.

Auch wenn die grüne Blase (JF 47/10) an Umfang verliert und Hoffnungen auf Ministerpräsidenten-Ämter langsam schwinden, kann die SPD nicht davon profitieren. Die Hauptfront der politischen Auseinandersetzung verläuft weiter zwischen Union und Grünen, mag Gabriel die Grünen-Wählerschaft auch noch so heftig als verwöhnte Bionade- und Latte-Macchiato-Trinker verspotten. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, gewiß kein analytischer Leuchtturm, traf einmal ins Schwarze, als er den Vorsprung der Grünen in der politischen Debatte mit dem „Totalausfall der SPD“ begründete.

Foto: SPD-Chef Sigmar Gabriel: Kompetenzgerangel mit Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier

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