© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Das Regime zum Teufel jagen
Tunesien: Nach dem Sturz Ben Alis rüsten sich die Islamisten zum langersehnten Gegenschlag
Curd-Torsten Weick

Wenn es nach dem Führer der islamistischen tunesischen Nahda-Partei geht, ist ein Ende der Unruhen im Mahgrebstaat noch längst nicht in Sicht. Die Demonstranten hätten bislang das geschafft, „was am leichtesten war – den Despoten zu vertreiben“, erklärte der noch im Londoner Exil lebende Rachid Ghannouchi gegenüber der spanischen Zeitung El País, nun müsse allerdings „ein Schritt vorwärts erfolgen, der ungleich schwieriger ist, nämlich das Regime zum Teufel zu jagen“.

Schneller als selbst Experten es vermutet hatten, ist die 23jährige Herrschaft des tunesischen Potentaten Zine el Abidine Ben Ali Geschichte. Zwar hatte der mit unbegrenzter Machtfülle ausgestattete Präsident in Anbetracht der ansteigenden Unruhen noch schnell Reformen (Presse- und Versammlungsfreiheit) und Arbeitsplätze versprochen, doch das konnte die Unzufriedenen nicht besänftigen. Politische Repression, Vetternwirtschaft einer kleinen politischen Elite, Korruption, steigende Lebenshaltungskosten und die soziale Unzufriedenheit einer breiten, gut ausgebildeten, aber keine Arbeit findenden Schicht junger Menschen, bildeten ein revolutionäres Gemisch, das die Alleinherrschaft Ben Alis per „Jasmin-Revolution“ von einemTag auf den anderen beendete. Ben Ali flüchtete gen Saudi-Arabien, und viele der seit zwei Jahrzehnten drangsalierten linken, gewerkschaftlichen und islamistischen Oppositionellen wollen aus dem Exil zurückkehren.

Nun soll eine Übergangsregierung unter Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi retten, was noch zu retten ist. Freie Wahlen, die Freilassung aller politischen Häftlinge, die Bekämpfung der Korruption und die Gewährung von Presse- und Meinungsfreiheit sollen die Lage beruhigen. Doch die „Regierung der nationalen Einheit“ hat einen Makel. Die Schlüsselressorts für Auswärtiges, Inneres, Verteidigung und Finanzen hält weiterhin die Regierungspartei RCD, die den Einparteienstaat Ben Alis stützte. Zwar werden die drei wichtigsten Oppositionsparteien mit einem Ministerposten bedacht, doch die islamistische en-Nahda bleibt außen vor. „Wir befürworten diese Regierung nicht“, erklärte ein Sprecher.

Al-Nahda ist die große Unbekannnte. Im „Neuen Tunesien“ Ben Alis war für die islamische Bewegung, die noch Ende der 1980er Jahre stärkste Oppositionskraft war, kein Fußbreit Platz. Sie wurde 1991 verboten, die Repräsentanten flohen ins Ausland oder wurden inhaftiert. Nun will Rachid Ghannouchi zurückkehren, und alle Welt fragt: Welche Macht haben die Islamisten? Dies wird sich erst klären, wenn der 69jährige tunesischen Boden betritt und sein Ansinnen umsetzt: „Die Tunesier haben eine Schlacht, nicht aber den Krieg gewonnen.“  

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