© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Ein wahrhaft fauler Frieden
Der Erste Thorner Frieden 1411 war auf Vernichtung des Ordens angelegt
Wiebke Dethlefs

Die Niederlage des Deutschen Ordens am 15. Juli 1410 in Tannenberg gegen die Übermacht der polnischen und litauischen Armeen war dramatisch. Der Orden erlitt eine katastrophale Niederlage, Hochmeister Ulrich von Jungingen fiel im Kampf, genau wie fast alle höheren Ordensleute und Komture. Der verbliebene Rest des Ordensheers flüchtete in die etwa neunzig Kilometer entfernte Marienburg, deren vom Schwetzer Komtur Heinrich von Plauen organisierte Verteidigung gelang. Die mehrwöchige Belagerung des Haupthauses des Ordens durch den polnischen Königs mußte schließlich wegen Seuchen im polnisch-litauischen Heer aufgegeben werden. Zudem drang ein alter Freund des Ordens, der deutsche König Sigismund von Ungarn her auf polnisches Territorium vor.

So gelang es Heinrich von Plauen, seit dem 9. November 1410 neuer Hochmeister des Ordens, verhältnismäßig akzeptable Friedensbedingungen auszuhandeln. Auf einer Insel in der Weichsel bei Thorn kam man am 1. Februar 1411 mit dem litauischen Großfürsten Vytautas (1350–1430) und dem polnischen König Władysław II. Jagiełło (1348–1434) zusammen. Nur verhältnismäßig geringe Gebietsverluste mußte der Orden hinnehmen. Die ohnehin nur mittelbar kontrollierten Gebiete von Schamaiten (Niederlitauen) nordöstlich der Memel und der unbedeutende Landstrich um Dobrin nordöstlich von Thorn gingen an das Großfürstentum Litauen bzw. an Polen. Seltsamerweise und für das Zeitalter ungewohnt wurden diese Gebiete nur auf Lebenszeit der polnischen und litauischen Herrscher abgetreten. Beide waren bereits mehr als sechzig Jahre alt, womit in nicht ferner Zukunft ein neuer Krieg vorgeplant war. Denn die Provinz Schamaiten war strategisch sehr bedeutsam, und kein litauischer Herrscher hätte auf sie verzichten wollen, wenn er nicht alsbald hätte gestürzt werden wollen.

Des weiteren waren zahlreiche kleinere Grenzbegradigungen vorgesehen. Wegen Unstimmigkeiten bei der genauen Grenzfestlegung, mit der eine endlose Zahl von Kommissionen befaßt war, wie auch als Trotzreaktion auf die maßlosen Zahlungsverpflichtungen kam es trotz der militärischen Schwächung des Ordens immer wieder zu kleinen Gefechten zwischen dem Orden und Polen. Auch verlangte Vytautas schon Ende Februar 1411 zusätzlich die Herausgabe des Hafens und der Burg Memel, die niemals Teil von Schamaiten war. Erst gut zehn Jahre später, am 27. Februar 1422, wurde von Hochmeister Paul von Rusdorf, Władysław Jagiełło und Großfürst Vytautas im Frieden von Melnosee (östlich von Graudenz) die letzliche Grenze des Ordenslands einvernehmlich festgeschrieben. Alle finanziellen Forderungen blieben jedoch bestehen. Der neue Grenzverlauf zu Polen-Litauen hatte überwiegend bis ins zwanzigste Jahrhundert Bestand. Die ostpreußische Ostgrenze hat sich im russischen Kaliningrader Gebiet bis heute als Teil der auf das Jahr 1422 zurückgehenden Grenze erhalten.

Schlichtweg nicht zu erfüllen waren die finanziellen Belastungen. 100.000 Schock böhmische Groschen (also sechs Millionen Groschen) Kriegskontribution wurden dem Orden auferlegt, was seine finanziellen Möglichkeiten völlig überstieg und seinem Niedergang den Weg bereitete. Vytautas und Jagiełło wußten dies. Sie drohten bei Nichtzahlung sogleich mit neuer Waffengewalt. So versuchte der bankrotte Orden, Städte und Stände zu verpflichten, ihm finanziell zur Seite zu stehen. Doch das selbstbewußt gewordene Bürgertum – insbesondere der Hansestädte Danzig, Elbing oder Thorn –, das der Ordensmacht und ihren arroganten Vertretern (die Städte hatten kein politisches Mitspracherecht) als Landesherrn ablehnend gegenüberstand und den Handel mit Polen gefährdet sah, leistete Widerstand. Städte und adlige Landstände gründeten 1440 im „Preußischen Bund“ eine Selbstverwaltung, ein politisches und auch miltärisches Gegengewicht zur Ordensregierung. Die Situation eskalierte schließlich 1454 in einem 13jährigen Krieg zwischen Polen, dem Orden und dem Preußischen Bund. Viele Ordensburgen wurden zerstört, das Land blieb verheert zurück. Der Zweite Thorner Friede von 1466 beendete aufgrund völliger Erschöpfung des Ordens den Krieg, nun mußte das Ordensland Preußen auch große Gebietsverluste hinnehmen. Das Ermland, Danzig und der westliche Teil des Landes (das spätere Westpreußen) gingen an den polnischen König und blieben polnisch bis zur ersten polnischen Teilung 1772.

Der Historiker Christian Krollmann charakterisiert den Ersten Thorner Frieden als „faulen Frieden“, da seine Bedingungen keineswegs auf Friedenserhalt ausgerichtet waren. Für den Orden waren die Bedingungen mittelfristig vernichtend. Die Enttäuschung des polnischen Königs über den politisch nicht genutzten vollständigen Sieg bei Tannenberg 1410 über den Orden, den Heinrich von Plauen mit der Verteidigung der Marienburg vereitelte, ließ das polnische Begehren nach der schon fast greifbaren Macht über das Gebiet des späteren West- und Ostpreußen nie mehr ruhen.

Foto: Heinrich von Plauen um 1410: Gegen Polen, die Städte und die Stände

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen