© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Die Angst vor Neuwahlen
Nordrhein-Westfalen: Nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt stehen Regierung und Opposition unter Schock
Ansgar Lange

Der Beschluß des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtes, den von der rot-grünen Minderheitsregierung durchgesetzten Nachtragshaushalt auf Eis zu legen, hat Regierung und Opposition in Düsseldorf in der vergangenen Woche gleichermaßen in Angst und Schrecken versetzt. SPD und Grüne, weil die Handlungsfähigkeit und damit die Zukunft der Landesregierung auf dem Spiel steht, und die Opposition, weil sie derzeit offenbar nichts mehr fürchtet als Neuwahlen. SPD-Chef Sigmar Gabriel höhnt bereits: „CDU, FDP und Linkspartei in Düsseldorf scheuen Neuwahlen wie der Teufel das Weihwasser.“

Etwas anders sieht es verständlicher weise FDP-Fraktionschef Gerhard Papke, ein erklärter Gegner der Grünen. Er hielte es für ein Versagen der Parteien, wenn der Landtag nur ein dreiviertel Jahr nach der Landtagswahl aufgelöst würde. Es ist zudem kein Geheimnis, daß die Kriegskassen der Parteien für eine außerplanmäßige Wahl nicht üppig gefüllt sein dürften. Abgeordnete, die jetzt sicher im Landtag sitzen und rund 10.000 Euro Diäten im Monat beziehen, müßten befürchten, beim nächsten Mal nicht mehr dabeizusein. Und ob die Basis mobilisiert werden könnte, an Ständen und bei Hausbesuchen für den jeweiligen Landtagskandidaten zu werben, ist ebenso zweifelhaft.

Die Folgen des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes sind daher immer noch nicht absehbar. Die Richter hatte im Wege einer einstweiligen Anordnung der rot-grünen Landesregierung aufgegeben, bis zum Abschluß der von CDU und FDP eingereichten Verfassungsklage keine weiteren Kredite auf Basis des Nachtragshaushaltsgesetzes 2010 aufzunehmen.

Damit ist zum ersten Mal ein Gericht einer amtierenden Landesregierung in den Arm gefallen, um sie daran zu hindern, einen möglicherweise verfassungswidrigen Haushalt zu vollziehen. „Diese Premiere ist allein der Dreistigkeit zu verdanken, mit der sich Ministerpräsidentin Kraft über das Recht hinweggesetzt hat“, kommentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung genüßlich. Als ertappte Haushaltssünderin habe die neue Landesmutter, die ihre Schuldenpolitik stets mit der „Sorge um künftige Generationen“ verbräme, deutlich an Glanz verloren.

Der Zusammenbruch des von Kraft und ihrer Vize-Regierungschefin Sylvia Löhrmann von den Grünen errichteten Kartenhauses hat Liberale und Christdemokraten veranlaßt, sich wieder als Mehrheitsbeschaffer ins Gespräch zu bringen. So ließ Papke beim Neujahrsempfang der NRW-FDP verlauten, seine Partei werde der Minderheitsregierung zwar nicht nachlaufen. Falls Rot-Grün aber von der Schuldenpolitik ablasse und nicht mehr mit den Schmuddelkindern von der Linken zusammenspielen wolle, sei man zu einer Annäherung, sprich Ampel, bereit.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen, der die CDU im Land führt, spielt hingegen auf Zeit. Innerparteiliche Kritiker unken, Röttgen und FDP-Landeschef Daniel Bahr gehe es weniger um aktive Gestaltung der Politik in Deutschlands bevölkerungsstärkstem Bundesland, sondern um die Machtbasis in Berlin, welche die Führung der größten Landesverbände nun einmal mit sich bringt. Sollten CDU und FDP bei einer erneuten Landtagswahl als Verlierer vom Feld gehen, dürften Röttgen und Bahr wohl kaum ihre Zukunft in Düsseldorf als Führer der Opposition sehen.

Medienberichten zufolge gibt es aber durchaus Bestrebungen, die Union als Juniorpartner in ein Kabinett Kraft zu überführen. In diesem Fall könnte der immer noch nicht so recht in NRW angekommene Röttgen in der Bundeshauptstadt bleiben, der bei der Wahl um den Landesvorsitz unterlegene Armin Laschet wäre wohl als Vizeministerpräsident oder Fraktionschef gesetzt, und der derzeitige Fraktionschef Karl-Josef Laumann könnte wieder seinen alten Job als Sozialminister übernehmen.

Doch zu einer solchen Lösung dürfte die Ministerpräsidentin, deren „Haushalt außer Kraft“ gesetzt wurde, kaum bereit sein. Sie müßte sich von ihren geliebten Grünen trennen, von einer Politik der sozialen Wohltaten auf Pump Abschied nehmen und mit denen ins Koalitionsbett steigen, die man doch nach einer kurzen Regierungsspanne von nur fünf Jahren vom Hof gejagt hatte. Auch eine Ampel mit dem strikt ordnungspolitischen FDP-Fraktionschef Papke würde den Wählern von SPD und Grünen nicht unbedingt wohlige Schauer über den Rücken jagen.

Also doch Neuwahlen? Diese könnten eventuell die Grünen noch stärker und dadurch die Sozialdemokraten automatisch schwächer machen. Manche stellen sich zudem die Frage, ob Schwarze und Gelbe wirklich schon wieder bereit sind, Verantwortung im Land zu übernehmen. Bisher fiel deren Oppositionspolitik nämlich eher mau aus. Schon wird in Nordrhein-Westfalen gewitzelt, seit der vergangenen Woche gebe es endlich eine Opposition: „Sie ist 63 Jahre alt, trägt Bart und rote Robe, heißt Michael Bertrams und ist Präsident des Landesverfassungsgerichtshofes“, ätzt die Rheinische Post. Bertram sei nämlich das gelungen, was die Oppositionsfraktionen nicht geschafft hatten: „die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit auf das rot-grüne Finanzunwesen zu lenken“.

Foto: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD): Bis auf weiteres darf die rot-grüne  Landesregierung keine weiteren Kredite aufnemen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen