© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Gruß aus Tokio
Unbequeme Sauberkeit
Kazue Nakamura

Tokio schläft nie – selbst an Feiertagen haben Imbißketten wie Matsuya, MOS Burger oder Yoshinoya und Läden wie 7-Eleven oder Lawson rund um die Uhr geöffnet. Aber wohin mit dem Abfall? Wenn man unterwegs etwas ißt und trinkt, wird es schwierig, denn in japanischen Städten kann man zwar überall kostenlose Toiletten, aber keine Mülleimer mehr finden, weder auf den Straßen noch in den Bahnhöfen und selbst in Einkaufszentren gibt es keine Papierkörbe. Und wenn man doch einen Behälter findet, dann steht darauf geschrieben, daß man hier keinen Haushaltsmüll entsorgen dürfe.

Dennoch sind die Gehwege und Straßen überall vorbildlich sauber, weder Papier noch Glasscherben als Hinterlassenschaft von nächtlichen Zechtouren stören das Stadtbild – doch das ist nicht nur der japanischen Reinlichkeit und Disziplin geschuldet. Denn alle Einwohner und Geschäftsinhaber müssen sich speziell gekennzeichnete Müllbeutel kaufen, um ihren Hausmüll getrennt entsorgen zu können. Bis in die neunziger Jahre war die Müllabfuhr noch kostenlos, inzwischen müssen fast überall kleine farbige Säcke gekauft werden, die dann zu bestimmten Zeiten vor die Haustür gestellt und abgeholt werden. Säcke für brennbaren Müll kosten zwischen 30 und 120 Yen (25 bis 110 Cent), die für Nichtbrennbares kosten  mancherorts sogar noch mehr.

Speziell im beengten und schnell wachsenden Tokio hat das Müllproblem eine lange Geschichte. Und so machte man schon 1957 aus der Not eine Tugend und schüttete im Stadtbezirk Koto die „Trauminsel“ Yumenoshima im Meer auf: mit Müll! Auch Koto selbst ist erst Ende des 19. Jahrhunderts durch künstliche Neulandgewinnung entstanden.

Nach anfänglichem Unmut haben sich die Japaner mit den Gebühren abgefunden, und die Mülleimer sind einfach nicht mehr da. Selbst auf Autobahnraststätten gibt es inzwischen kaum noch Müllkörbe – dafür ein Schild mit der Aufschrift: „Bitte die Abfälle mitnehmen und zu Hause entsorgen!“ Die Papierkorbfrage ärgert auch die allgegenwärtigen Werbeverteiler und die Adressaten ihrer Botschaft, denn es stellt sich die Frage: wohin mit den Angebotszetteln? Es wäre daher schön, wenn die Abfallkörbe zurückkehren würden und die Handtasche nicht mehr Zwischenlager für Bonbonpapier sein muß.

 

Kazue Nakamura ist Ökonomin und arbeitet als Übersetzerin in Tokio.

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