© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Die Chance für ein neues Leben
Als Bewerber bei der Fremdenlegion: Schon vor dem Tor ist das zivile Leben vorbei, nun heißt es mit Stärke, Ehre und Treue Frankreich zu dienen
Billy Six

Bei den Taliban werdet ihr keine Spielkonsolen mehr brauchen.“ Der etwa 35jährige Uniformierte führt den Rekruten ihre Lage vor Augen, schon bevor die Tür sich schließt: Das zivile Leben ist vorbei!

Von den Stacheldrahtzäunen abgesehen wirkt der Hauptsitz der französischen Fremdenlegion im provenzalischen Aubagne, nahe Marseille, nicht sonderlich auffällig. Mehrstöckige Betonhäuser, dazwischen immer wieder hohe Bäume. Die jungen Männer, die mit ihren Rucksäcken vor dem kleinen Büroraum am Rande des Geländes warten, wissen dennoch, was sie wollen: ein neues Leben.

Dutzende bewerben sich jeden Tag um Einlaß. Jeder Nicht-Franzose im Alter von 18 bis 39 Jahren darf sein Glück herausfordern und ohne Voranmeldung anklopfen. Ein Bulgare scheitert bereits am Eingang – nicht wegen seiner fehlenden Kenntnisse der französischen oder englischen Sprache, sondern weil er keinen Reisepaß dabeihat.

Der Rest hat vorerst Platz genommen: Ein Ivorer. Ein Rumäne. Ein Kolumbianer. Ein Georgier. Ein Deutscher. Alle sind zwischen 19 und 25 Jahren alt. Der Kontrolleur fordert sie auf, die Rucksäcke zu entleeren. Lebensmittel werden in den Müll befördert, Wertgegenstände beschlagnahmt. Die geforderten Rasier- und Zahnputzzeug dürfen mitgenommen werden. Nachdem die Personalbögen ausgefüllt sind, geht es in Reih und Glied auf das abgeschirmte Areal.

Mit ihrem Motto „Legio Patria Nostra“ (Die Legion ist unser Vaterland) ist die Fremdenlegion mehr als nur ein Arbeitsplatz für Außenseiter. Sie ist ein Mythos. 1831 per Dekret von König Louis-Philippe zur Sicherung der Kolonien in Afrika gegründet, haben allein bis Ende der 1980er Jahre über 600.000 Männer in ihr gedient. 36.000 Legionäre sind im Dienst gefallen.

In teils abenteuerlichen Operationen sind die aktuell 7.699 Soldaten bis heute in vielen Teilen der Welt im Einsatz: Als Fluthelfer in Frankreich. Zur Sicherung des Weltraumbahnhofs im südamerikanischen Französisch-Guayana. Zum Schutze der Seewege am Horn von Afrika. Zur Friedenssicherung in der Elfenbeinküste. Oder als Kämpfer an vorderster Front im Afghanistankrieg.

„Schweiß spart Blut.“ Dieses Leitmotiv bekommen die Rekruten bereits in den ersten drei Wochen der Eignungsprüfung und verstärkt in der viermonatigen Grundausbildung zu spüren. Nun heißt es, eine Stunde strammzustehen – in Unterhosen.

Durch das offene Fenster strömt die kalte Morgenluft knapp über dem Gefrierpunkt herein. Die erste Kollektivstrafe. Der offenbar aus Ostasien stammende Militärarzt versteht keinen Spaß, als er einen bulgarischen Bewerber gähnen sieht. Prompt werden alle um fünf Uhr morgens aus dem Bett getrommelt.

Erst um 22 Uhr beginnt die Nachtruhe – nach Dusche und Badreinigung. Der Einlaß zur medizinischen Ganzkörperuntersuchung gestaltet sich so beinahe als Erlösung. Für jeden dritten der rund zwanzig Getesteten endet der Traum von der Militärkarriere aber bereits heute. Meist sind schlechte Zähne verantwortlich. Wer in die Legion eintreten will, muß in bester Form sein – gesundheitlich, sportlich und psychisch. Fast 90 Prozent aller Bewerber schaffen es nicht, das begehrte weiße Käppi zu erlangen, das Symbol für Männlichkeit und Kampfgeist. Und diejenigen, die es haben, wirken nicht besonders glücklich. Oder tun sie nur so, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen? „Glaubst du, es macht mir Spaß, seit 14 Jahren durch den Dreck zu robben – für 1.000 Euro im Monat? Das hier ist wie ein Gefängnis – hast du Lust auf Knast für 1.000 Euro im Monat?“

Nur einer in der Runde hat die in Deutsch vorgetragene Äußerung eines übel dreinblickenden Militärs verstanden. Es wirkt abschreckend, aber vielleicht soll es das ja auch. Die Fremdenlegion will sich sicher sein, daß der Verpflichtungsvertrag mindestens für die ersten fünf Jahre eingehalten wird. Für Experimente ist diese Truppe nicht zu haben.

Wenn gerade keine Untersuchungen, Übungsmärsche, Stubenreinigungen oder das durchaus schmackhafte Kantinenessen angesagt sind, sitzt die bunte Schar der Bewerber in der „Bibliothek“. Es handelt sich um eine 2,50 Meter hohe Kiste aus Blech und Holz. Ein Tisch, 20 Stühle und ein Berg teilweise vergilbter Bücher und Hefte sollen die Wartezeit überbrücken. Draußen werden die frisch in blaue Sportanzüge gekleideten Kameraden unter lautem Trillerpfeifen zu einer Liegestütze nach der anderen aufgefordert. Aus dem alten Radio rauschen immer wieder die gleichen Lieder.

Diese Pioniere des 21. Jahrhunderts machen nicht den Eindruck, auf der Flucht befindliche Verbrecher zu sein, wie es gemeinhin unterstellt wird. Zwar sind eine fehlende Ausbildung, verkrachte Familienverhältnisse oder die Suche nach einer neuen Identität nach wie vor kein Einberufungshindernis, aber nach Vorstrafen wird rigoros gefragt – und der Kandidat bei Interpol in Lyon geprüft.

Ein 33jähriger Brite sagt, er habe nach vielen Weltreisen eine Ausbildung zum kommerziellen Taucher gemacht, aber die Ölfirmen, auf die er gehofft hatte, hätten ihn nicht gewollt. Nun setzt er darauf, sein Können in der Legion anzubringen. Ein anderer Landsmann, rotschöpfiger Schweinezüchter, will den bürokratischen Zwängen und Erwartungen der Zivilisation überhaupt  entfliehen und fremde Länder kennenlernen. Eduardo, ein liebenswürdiger Kolumbianer von Anfang zwanzig, hat ein befristetes Arbeitsvisum für Spanien erlangt und will sich nun eine französische Staatsbürgerschaft und das Geld für ein eigenes Haus verdienen. Ein Brasilianer teilt mit, er wolle nicht in seiner Heimat dienen, weil man in der dortigen Armee studieren müsse.

Begeisterter Kriegermut ist nur von den Japanern zu vernehmen. Ansonsten herrscht gedämpfte Stimmung. Es wird der Eindruck bestätigt, den ein General bereits im Oktober 1978 gegenüber dem Spiegel geäußert hat: „Die Legion ist ein Asyl geblieben, doch keine Müllkippe.“ Die Kolonialkriege von Vietnam und Algerien waren da bereits vorbei.

Die Fremdenlegion hat die alte Zeit überlebt. Keine politische Strömung will sie abschaffen – nicht einmal die Kommunisten. Diese regieren sogar in Aubagne. Wenn etwas auffällt im Gespräch mit französischen Zivilisten jenseits der Kasernen, dann die etwas andere Einstellung zur Armee, als man es in Deutschland gewohnt ist. Trotz des Frusts über die politisch und wirtschaftlich schwierige Situation reißen sich die Augen anerkennend auf: „Ein Legionär? Alle Achtung!“

 www.legion-recrute.com/de

 

Deutsche in der Fremdenlegion

Deutsche haben in der Geschichte der  Fremdenlegion eine herausragende Stellung. Schätzungen des Historikers Eckard Michels zufolge dienten vor allem zwischen 1870 und 1962 etwa 125.000 Deutsche für Frankreich. Bei insgesamt etwa 350.000 ein Drittel.  Explizit nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, dem Ersten und Zweiten Weltkrieg stellten Deutsche die Mehrheit unter den Legionären.

Doch nicht so sehr die Abenteurer und Gesetzesbrecher prägten das Bild, sondern demobilisierte Soldaten, Flüchtlinge und Kriegsgefangene bildeten hierbei das Gros der Rekrutierten.  Rekrutierungsbüros in den Kriegsgefangenenlagern waren keine Seltenheit (JF 38/09). Die Sieger- und Besatzungmacht Frankreich griff gerade nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf Deutsche zurück, und so war es kein Wunder, daß ein Großteil der gefallenen Legionäre im Indochinakrieg (1946 bis 1954) Deutsche waren.

Eckard Michels: Marschier oder stirb! Deutsche in der Fremdenlegion 1870–1965. Mythen und Realitäten. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1999, gebunden, 362 Seiten, 26,90 Euro

Foto: Militärparade zum französischen Nationalfeiertag  am 14. Juli 2010: Erkennbar an den berühmten weißen Käppis (Képi blanc) marschieren die Fremdenlegionäre aus aller Herren Länder über die Champs-Élysées

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