© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Stationen einer Demontage
Bundeswehr: Das schwierige Verhältnis der Politik zur Parlamentsarmee
Hans-Peter Rißmann

Das Agieren von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) angesichts der aktuellen „Skandale“ in der Bundeswehr (JF 6/11) hat in der Truppe für Unsicherheit gesorgt. Die generelle  Kampfansage an „Rituale“ in der Bundeswehr, der vom Ministerium beförderte Verdacht, in der Truppe stimme tendenziell etwas nicht, lassen die Soldaten derzeit in Spannung innehalten. Die Lage erinnert an Konflikte und Irritationen zwischen Politik und Bundeswehr, wie sie seit der Gründung der Parlamentsarmee 1956 immer wieder aufgetreten waren.

Schon vor der Gründung gab es gegensätzliche Meinungen darüber, inwieweit wie sich der Soldat gegenüber der Politik und Gesellschaft positionieren solle und müsse. Laut Wolf Graf von Baudissin sollte das von ihm maßgeblich miterarbeitete Prinzip der „Inneren Führung“ in der Bundeswehr der Verwirklichung der sittlichen, geistigen und rechtlichen Gesamtverfassung des inneren Gefüges der Streitkräfte dienen. Er bezeichnete die „Innere Führung“ gar als vornehmste Aufgabe des militärischen Vorgesetzten. Damit unterstrich er eine Schwerpunktverlagerung im soldatischen Selbstverständnis und Verständnis des Soldaten in der Zivilgesellschaft, die bis heute das Bild der Streitkräfte beeinflußt.

Widerspruch blieb nicht aus. Ausgerechnet der Stellvertreter Baudissins als Leiter der Gruppe „Innere Führung“ im Verteidigungsmisterium, Heinz Karst, versuchte in einer „vertraulichen“ Denkschrift vom August 1955 die besondere Position des Soldatenstandes innerhalb der Gesellschaft  zu unterstreichen und in die neue Bundeswehr gewissermaßen hinüberzuretten. Er war tief besorgt über die Art und Weise, wie Bundesrat und Bundestag über die Wehrgesetze berieten. Karst: „Selbst wenn es nicht beabsichtigt sein sollte, praktisch stellen die gesetzgebenden Körperschaften – Abgeordnete der Koalition mehr noch als die der Opposition – der wehrpflichtigen Jugend den künftigen deutschen Soldaten als den gefährlichsten Feind der Demokratie dar. Nicht mehr der Staatsbürger in Uniform scheint im Blick zu sein, sondern der Soldat im Ghetto, den man bei schärfstem Gehalt im Zaum halten will, damit er kein Unheil anrichtet (…)“

Tatsächlich klingt hier eine Skepsis gegenüber dem Parlament mit, die seitens der Soldaten nie vollends abgelegt wurde, da der Soldat, im Frieden geführt von einem gewählten Verteidigungsminister, dauerhaft in den Schatten der Parteipolitik treten mußte.

Die Offiziere wollten sich mit der von der Politik gewünschten gesellschaftspolitischen Randexistenz nicht abfinden. Immer wieder kam es zu Versuchen, sich von dem Primat des Zivilen und der parteipolitischen Einflußnahme als Soldatenstand im Staate zu emanzipieren. Tatsächlich sind die Versuche, an die Traditionen der überlieferten Stellung des Soldaten anzuknüpfen am Widerstand der Politik gescheitert, eine militärisch geführte Bundeswehr gab es nie.

Ausgangspunkt für ein neuerliches Aufbegehren gegen diese „Einhegung“ waren die aus den eigenen Reihen vorgetragenen äußerst liberalen Erklärungen der „Leutnant 70“-Bewegung, welche vor der Bundestagswahl 1969 mit zeitgeistigen Aussagen wie diesen für Aufruhr sorgten: „Ich will ein Offizier der Bundeswehr sein, der das Verhalten eines Vorgesetzten in Frage stellen darf und sein eigenes Verhalten von Untergebenen beziehungsweise von jedermann in Frage stellen läßt; ich möchte ein Offizier sein, der nichts selbstverständlich findet.“ Zudem wurde ein Friedensgelöbnis in der Form abgegeben, daß der kämpferische Aspekt des Soldatentums, in einer Zeit permanenter Bedrohung, überhaupt nicht mehr in Erscheinung trat. Der Pazifismus aus den Reihen der Bundeswehr manifestierte sich später noch einmal exemplarisch im „Arbeitskreis Darmstädter Signal“, einem Zusammenschluß von 20 Offizieren und Unteroffizieren der Bundeswehr, die sich gegen militärische Konfliktlösungen wandten und offen als Teil der Friedensbewegung fühlten.

Widerspruch gegen die offenbare Erosion traditioneller Vorstellungen des Soldatentums und des weiteren Vormarsches zivilgesellschaftlicher Vorstellungen in der Bundeswehr, eine Folge auch von 1968, war der Protest der „Unnaer Hauptleute“, jener 30 Kompaniechefs der 7. Panzerdivision im westfälischen Unna, die sich der Entwicklung über eine offene Erklärung entgegenstellen wollten. In kurzer Zeit unterzeichneten mehr als 800 Hauptleute der Bundeswehr das Protestpapier, in dem vor allem die Bundesregierung der Verfälschung des Kräfteverhältnisses zwischen Ost und West, die militärische Führung des Mißbrauchs ihrer Befehlsgewalt zu parteipolitischen Zwecken und die Generalität des opportunistischen Verhaltens und der Hörigkeit gegenüber der Politik und des Verspielens militärischer Entscheidungshoheit beschuldigt wurden. Wie die Unnaer Hauptleute bald feststellen mußten, erreichten sie nicht das Primat des Militärs in der Formulierung eines eigenständigen militärischen Selbstverständnisses.

Wie auch Verteidigungsminister Helmut Schmidt durchsetzte, sollte keinesfalls eine neuerliche „Schule der Nation“, etwa als Gegengewicht zur 68er-Bewegung entstehen. Zuvor, im Jahre 1969, waren im übrigen mehrere Versuche seitens des Generalinspekteurs Trettner und anderer Generale gescheitert, die Vorstellungen des „Bürgers in Uniform“ der  „Inneren Führung“ zugunsten einer „soldatischen“, also traditionell kämpferischen Haltung zurückzudrängen. General Schnez scheiterte mit seiner Forderung nach einem „Bekenntnis zur deutschen Soldatentradition“, Trettner trat zurück. Der „Bundeswehr-Skandal“ hatte personelle Opfer gefordert, die Vertreter der „Inneren Führung“ auf breiter Front obsiegt.

Der Mentalitätswandel, hin zu Streitkräften, die nicht mehr den Vorstellungen traditionellen Soldatentums entsprachen, wurde nach dem Ausscheiden der letzten ehemaligen Wehrmacht-Angehörigen aus der Bundeswehr offenbar. Nun stand das Hochschulstudium ranglich vor dem Truppendienst, vor dem militärischen Können unangefochten im Vordergrund.

Mit dem veränderten außenpolitischen Auftreten Deutschlands und den ersten Auslandseinsätzen in den neunziger Jahren begann sich, bis heute, ein Veränderungsprozeß in der Bundeswehr einzustellen, der die Ausbildung vor völlig neue Herausforderungen stellte und auch einsatzbezogene Ausbildung notwendig machte.

Eine Kampagne aus den ersten Jahren der Auslandseinsätze, die die Bundeswehr öffentlich gewissermaßen kollektiv als eine „Bande von Banditen“ brandmarken sollte, provozierte ein von einem Unteroffizier angefertigtes Videoband aus dem Jahre 1997. Feinddarsteller wurden in übertriebener Weise bei der Simulation von Kriegsverbrechen abgebildet, das Video war offenkundig nicht während der eigentlichen Ausbildung entstanden. Der damalige Heeresinspekteur Willmann versicherte im Gegensatz zu Verteidigungsminister Rühe (CDU) sogleich, daß es sich um einen Einzelfall gehandelt habe, durch den andere Soldaten zu Unrecht mitverurteilt würden. In der Folge wurde die Bundeswehr massiv unter politischen Druck gesetzt, noch entschiedener die Grundsätze der „Inneren Führung“ gegen ein aufkommendes „Rambotum“ in Szene gesetzt.

Das Selbstverständnis des Soldaten wurde auch durch eine weitere Reform einer weiteren Herausforderung ausgesetzt, die dem traditionell verankerten Begriff des Soldatenberufes entgegenlaufen mußte. Seit zehn Jahren erhalten Frauen in der Bundeswehr die Möglichkeit, Dienst in Kampftruppen zu leisten. Dies veränderte auch den Umgang der Soldaten untereinander. Es hat aber auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und den ihnen unterstellten Soldaten und Zivilbeschäftigten. Die Beobachtungen bei der Verwendung von Frauen im Truppendienst zeigen sich vor allem in der geringeren körperlichen Belastbarkeit von Frauen, welche in der Regel dazu führt, daß sie nicht in Spezialeinheiten, wie etwa dem KSK, Verwendung finden. Ungleichbehandlungen waren und sind an der Tagesordnung und führten von Beginn der Integration von Frauen in der Bundeswehr an teils zu erheblichem Unmut unter den männlichen Soldaten.

Trotz der auch positiven Erfahrungen mit Soldatinnen im Dienst scheint das Dilemma unauflöslich. Für viele ist auch der Verlust des gewohnt „rauhen“ Umgangstones in der Armee schwer zu ertragen. Ohnehin wurde der Umgang gerade zwischen militärischem Führer  und Soldaten in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr dem zivilgesellschaftlichen Duktus unterworfen.

Die Belastungen, denen sich die Truppe aufgrund dieser neuen Herausforderungen gegenübersieht, verbunden mit dem Reformdruck und unter dem Druck der Medien und Politik in bezug auf die Einhaltung der Grundsätze der „Inneren Führung“ und des betont zivilen Ansatzes vom „Bürger in Uniform“, welcher im Grunde auf Dauer in einer Freiwilligenarmee kaum aufrechtzuerhalten scheint, führen die Bundeswehr in eine höchst ungewisse Zukunft.

Foto: Frauen bei der Bundeswehr: Verlust des gewohnt rauhen Umgangstons unter den Soldaten

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen