© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

CD: Kurt Leimer
Stipendium von Hitler
Jens Knorr

Da verwundert man sich ob der kärglichen Informationen auf der Internetseite der Zürcher Kurt-Leimer-Stifung (www.kurt leimer.ch) und in den Beiheften der CD-Edition, die frühe Karriere des Pianisten Kurt Leimer (1920–1974) betreffend, und findet den möglichen Grund en passant bei Lektüre der Schwarmschwarte „Adolf Hitler aus dem Erleben dargestellt“ des 175prozentigen Nationalsozialisten Hans Severus Ziegler, Organisator der Ausstellung „Entartete Musik“ von 1938:

Ziegler rühmt sich da, 1937 bei einer ihm gewährten Privataudienz seinem Führer vorgeschlagen zu haben, „einen ungewöhnlich talentierten, mittellosen Pianisten von 19 (sic!) Jahren mit einem monatlichen Stipendium zu fördern“, worauf Hitler sofort 350 Reichsmark pro Monat festgesetzt und die weitere Ausbildung des Pianisten in Berlin gefördert habe. Der junge Musiker habe Hitler daraufhin ein „Impromptu“ für Klavier gewidmet und dieses auch für die Schallplatte eingespielt. Ob dieses Tondokument, welches Hitler, wie er Ziegler gestanden haben soll, „liebgewonnen hatte“, sofern auffindbar, in die Edition aufgenommen wird, bleibt einstweilen offen. Es mindert jedoch nicht den Rang des Pianisten Kurt Leimer, daß er ein Gutteil seines Könnens einer Ausbildung verdankt, die ihm – nennen wir das Ding beim Namen: – ein Adolf-Hitler-Stipendium ermöglicht hat. Diesen seinen Rang bestätigen die Einspielungen dreier Werke, von denen die fünfte CD der Edition zwei dem älteren Hörer wieder und drei dem jüngeren überhaupt erst zugänglich macht.

Die bisher unveröffentlichte Studioaufnahme von Johann Sebastian Bachs Französischer Suite E-Dur BWV 817 ist durchaus geeignet, ihre Hörer zu schockieren. Obwohl er Hermann Kellers 1967 bei Peters Leipzig herausgegebene Urtext-Ausgabe kennt, ist Leimers Spiel weit entfernt von historisch informierter Aufführungspraxis und klingt heutigen Ohren weniger nach Bach denn vielmehr nach überlebter Aufführungstradition, erratisch und trutzig in unsere Zeit hinüberragend.

Anstatt jedoch Leimers Spiel leichthin als Nähmaschinen-Musik abzutun, sollte man in ihm den Widerhall der Leimer-Gieseking-Methode zu hören suchen, mit der Kurt Leimers Onkel Karl und dessen Schüler Walter Gieseking dem Auseinanderfall von Klaviertechnik und Ausdruck entgegenzuwirken trachteten und die sie in ihrem Lehrbuch „Technik des Klavierspiels“ unter anderem an der Allemande aus der Es-Dur-Suite erklärt haben. Den Grundsatz, daß Technik ein Produkt von Geistesarbeit sei und, was nicht zuerst durch den Kopf gegangen, nie und nimmer in die Finger komme, exemplifiziert Leimer auch mit seinen Einspielungen von Beethovens Klaviersonate c-Moll Nr. 32 op. 111, letzter und gewichtiger Beitrag des Komponisten zur Gattung, und Brahms’ Variationen über ein Thema von Paganini op. 35.

Von Bach über Beethoven zu Brahms führt der Interpret und Pädagoge Variationswerk als Arbeit am Thema vor und leitet seinen Hörer zu Mitwisserschaft und Mitarbeit. Das gibt der Zusammenstellung einen sehr didaktischen Charakter, hebt sie aber aus der pianistischen Massenware heraus.

Wenn auch Kurt Leimers Mäzen der frühen Jahre der falsche gewesen sein mag – die Gabe galt dem Richtigen.

Kurt Leimer: Bach, Beethoven, Brahms Colosseum Classics Col 9204.2   www.colosseum.de

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