© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Wie ein ertappter Dieb vom Hof gejagt
Kurt Braatz legt eine beachtenswerte Biographie des Fliegergenerals Walter Krupinski vor
Franz Uhle-Wettler

Die Biographie des Soldaten Walter Krupinski von Kommunikationsmanager und Luftkriegshistoriker Kurt Braatz verdient wahrlich eine positive Besprechung.

Auf den ersten 170 Seiten schildert der Verfasser den Weg des 1920 geboreren und 2000 verstorbenen Ostpreußen zu einem der erfolgreichsten deutschen Jagdflieger mit 198 Abschüssen sowie zum Träger des Ritterkreuzes mit Eichenlaub, der selbst mehrfach abgeschossen oder im Luftkampf verwundet wurde. Zusätzlich gibt der Verfasser schon hier dem Leser einen tiefen Einblick in die Ausbildungsmethoden der Luftwaffe, die dem anfänglichen Versager Krupinski seine Erfolge ermöglichten, in die Freuden und den Ärger des täglichen Lebens und nicht zuletzt in die hohen Verluste auch der Jagdflieger. Die Gefangenschaft Krupinskis war recht kurz, zumal er, von einem französischen Soldaten halb totgeschlagen, lange im Lazarett liegen mußte. Es folgten Jahre als Angestellter im „Amt Gehlen“, das gegen die Sowjetunion aufklärte, und dann im „Amt Blank“, dem späteren Verteidigungsministerium.

Der zweite Teil des Buches schildert Krupinskis Laufbahn in der Bundeswehr. Er wurde 1955 als Major übernommen, meist in der Truppe verwendet, wurde Kommodore eines Jagdgeschwaders und 1969 als Generalmajor Kommandeur der 3. Luftwaffendivision. Auch in diesem Teil des Buches präsentiert der Verfasser, Erstaunliches und Unbekanntes. Wer weiß heute schon, daß die ersten Deutschen, dabei Krupinski, schon 1953, zwei Jahre vor dem offiziellen Beginn der Bundeswehr, zum Strahlflugzeugführer ausgebildet wurden?

Erwähnenswert ist auch Krupinskis Einsatz für den Kauf des F-104 Starfighter und der Nachweis des Autors, daß die Gerüchte über dunkle Machenschaften bei diesem Kauf unglaubwürdig sind. Ausführlich werden die kaum glaubhaften Mängel bei der Ersatzteilversorgung geschildert, die allerdings beim Heer noch schlimmer waren. Doch sie haben die Öffentlichkeit nur bei der Luftwaffe interessiert, denn ein Flugzeug, bei dem etwas versagte, stürzte ab, während ein Panzer nur stehenblieb. Der Verfasser zeigt, daß die Mängel auf die militärfeindliche Aufgabenverteilung im Verteidigungsministerium zurückzuführen waren, die zu beheben schwierig war. Auch Krupinskis Ringen um eine angemessene Fliegerzulage, um eine deutsche Interessen wahrende Rolle der zum Einsatz von Atomwaffen vorgesehenen F-104 sowie sein Ringen um eine Nachfolgemaschine, schließlich die F-4 Phantom, ist interessant.

1974 wurde Krupinski als Generalleutnant „Kommandierender General der Luftflotte“, also Befehlshaber von allem, was in der Luftwaffe kämpfen soll und somit den Zweck jeder Luftwaffe verkörpert. Mit der Schilderung der Entlassung Krupinskis beginnt der interessanteste Teil des Buches, denn er öffnet den Blick auf heutige Ereignisse und Umstände:Im November 1976 empfing das Jagdgeschwader Immelmann ehemalige Angehörige des gleichnamigen Geschwaders der Wehrmacht. Mithin kam auch Oberst a.D. Rudel, der einzige Träger des goldenen Eichenlaubs zum Ritterkreuz, aber auch Sympathisant einer extrem rechten und deshalb verbotenen Partei. Wenige Tage später empfingen Krupinski und sein Stellvertreter, Generalmajor Karl Heinz Franke, einige Journalisten zu einem als „vertraulich“ bezeichneten Hintergrundgespräch. Als die Rede auf den Besuch und dabei auch auf Rudel kam, sagte einer der beiden Generale, daß Rudel sich bei dem Besuch wie schon seit längerem jeder politischen Äußerung enthalten habe und schloß mit der Anspielung auf den früheren KPD-Genossen Herbert Wehner: „Solange wir akzeptieren, daß Herr Wehner geläutert ist und heute im Bundestag sitzt, müssen wir auch einem Oberst Rudel zugestehen, daß er sich geläutert haben könnte.“

Das war sachlich kaum zu bestreiten. Aber es war zu viel. Einer der Journalisten, der AP-Korrespondent Karl-Heinz Hahslach, berief sich „auf sein Gewissen“ und machte das Gespräch gegen alle geltenden journalistischen Gepflogenheiten publik. Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) warf daraufhin beide Generale derart aus der Bundeswehr, wie ein Bauer seinen diebischen Knecht vom Hof jagt. Bis zur bürokratischen Abwicklung des Rauswurfs: Verbot, die Kaserne zu betreten, des Tragens der Uniform und kein Abschied mit den üblichen Ehrungen. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Hermann Schmidt (SPD), hatte übrigens die Veranstaltung genehmigt und geriet ebenfalls in die Kritik, was mit dem Ausscheiden aus dem Amt endete. Die „Rudel- bzw. Krupinski-Affäre“ löste damals eine Mediendebatte über die Traditionspflege in der Bundeswehr aus.

Das zwingt zu der Frage nach dem Verhalten von Krupinskis Vorgesetzten sowie der medialen Öffentlichkeit. Zum Vergleich: Als Friedrich der Große bei den berühmten Prozessen gegen den Müller Arnold irrtümlich Klassenjustiz vermutete und den „Justizminister“ rauswarf, fuhr abends die Berliner Gesellschaft demonstrativ am Schloß vorbei zu dem Rausgeworfenen, um ihm ihre Solidarität zu bezeugen, und der neue Minister verweigerte offen die Weisung des Königs, die Richter zu bestrafen. Nichts dergleichen geschah im Fall der Generale Krupinski/Franke. Im Fall des Fallschirmjägergenerals Günzel zeigten sich 25 Jahre später erschreckende Analogien. Könnte es sein, daß es heute weniger Zivilcourage, Mut und unabhängiges Denken gibt als zur Zeit des (angeblichen) Untertanengeistes und Kadavergehorsams?

Kurt Braatz: Walter Krupinski.   Jagdflieger, Geheimagent, General. Verlag Neunundzwanzigsechs, Moosburg 2010, gebunden, 336 Seiten, Abbildungen, 39,80 Euro

Foto: Oberst Walter Krupinski (l.) testet mit einem US-Piloten das Jagdflugzeug F-105 Thunderchief, Ramstein 1966: Die skandalösen Umstände seiner Entlassung führten 1976 zu einer heiß geführten Debatte

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen