© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Die Schwierigkeiten mit weiser Führung
General a.D. Jörg Bahnemann blickt auf mehrere Jahrzehnte Bundeswehr im ständigen Wechselspiel mit der Politik zurück
Michael Vollstedt

In der Bundeswehr kannte man Jörg Bahnemann als kritischen, auch unbequemen Geist; persönliches Engagement und vielfältige Begabung führten ihn in der Luftwaffe jedoch frühzeitig zum Generalsrang. Sein Werdegang seit 1956, als Erlebnisbericht verfaßt, wirkt gerade aus seinen ersten Jahrzehnten oft ernüchternd. Dabei wäre gegenüber der Aufbauleistung ehemaliger Wehrmachtsoldaten mehr Wohlwollen zu rechtfertigen, als der Autor erkennen läßt. Das Buch reicht zeitlich bis zur „Wende“, inhaltlich hat es heute wie mit Blick auf die Zukunft hohen Erkenntniswert für das politisch-militärische Zusammenwirken in der deutschen Demokratie.Historiker und zeitgeschichtlich Interessierte werden am Zeitzeugen Bahnemann Freude haben. Seine ins Detail gehenden Schilderungen, die Nennung von Namen auch bekannter Persönlichkeiten aus Militär und Politik, verbunden mit deutlichen Hinweisen auf deren Verantwortlichkeiten, sind authentisch und aufschlußreich. Dabei geht es nicht um „Enthüllungen“ oder gar Aufdeckung von Skandalen; über alles ist schon früher geschrieben worden, aber selten in der von Bahnemann gewählten Direktheit.

Abkürzungen, aus dem Dienst gewohnte Formulierungen und ein Schuß Ironie geben dem Buch Flair und sollten auch den Streitkräften fernere Leser nicht von der vollständigen Lektüre abbringen. Bahnemanns Erkenntnisse und Folgerungen sind auch ohne Detailwissen nachvollziehbar. Allerdings ist dabei ein ständiger Vergleich sinnvoll, inwieweit hierarchische Verhaltensweisen und organisatorische Unzulänglichkeiten nicht auch im zivilen Leben vorkommen, um das wichtigste Anliegen des Buches im Auge zu behalten: „Parlamentsarmee?“

Die Parlamentarier teilen der Bundeswehr die Ressourcen zu, erteilen Mandate für den Einsatz und üben Kontrolle aus – das muß so sein –, aber verstehen sie ihre Armee, wissen sie, was zur Auftragserfüllung gebraucht wird, welcher Rahmen für Betrieb und Einsatz nötig ist? Bahnemann verneint es und verweist auf seine Erfahrung – deshalb der Untertitel „Bundeswehr braucht Führung“. Das zielt auch auf die militärische Führung, die bis heute keine eindeutige Klarstellung erreicht hat, was das prinzipiell unbestrittene „Primat der Politik“ konkret bedeutet. Abgesehen von unserem schweren Erbe des Nationalsozialismus, das die Entwicklung der Bundeswehr belastet hat und für lange Zeit nachwirkt, ist bei ihrer jetzigen Neuausrichtung manche Parallele zur Aufbauzeit unverkennbar.

Bahnemann geht zwar auf die anlaufende Bundeswehrreform nicht direkt ein. Aber an seiner praktischen Erfahrung orientiert, beschäftigen ihn die allgemeingültigen Anforderungen, die sich aus den Aufgaben der Streitkräfte ableiten und für das Verhältnis zu Politik und Gesellschaft wichtig sind. Darin liegt der Wert des Buches, nicht nur für heutige Reformer, sondern für den militärischen Nachwuchs, der organisieren, Menschen führen und international arbeiten will – und einen vom Bundestag beschlossenen Waffeneinsatz akzeptiert. Für den Umbau unserer Streitkräfte zur Berufs- und Interventionsarmee sind junge Offiziere dieses Schlages unverzichtbar.

Jörg A. Bahnemann: Parlamentsarmee? Bundeswehr braucht Führung. Helios Verlag, Aachen 2010, gebunden, 344 Seiten, Abbildungen, 24 Euro

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