© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Jan Tomasz Gross sorgt mit seinem Buch über den polnischen Antisemitismus für Unruhe
Schatten über Polen
Stefan Scheil

Es sei eine „Masche“, lautet der aus Warschauer Regierungskreisen erhobene Vorwurf: Er geht an die Adresse des Publizisten Jan Tomasz Gross und richtet sich gegen dessen neues Buch über die „Goldene Ernte“, wie Gross die Aneignung jüdischen Eigentums durch die Bevölkerung der Volksrepublik Polen nach 1945 bezeichnet, und das im August auf englisch erscheinen soll.

Daran ist zumindest so viel richtig, daß der 1947 in Warschau geborene und heute im amerikanischen Princeton lehrende Historiker und Soziologe nicht zum ersten Mal den polnischen Antisemitismus auf schmerzhafte Weise zum Thema macht. Bekannt wurde Gross 2001 mit seinem Buch „Nachbarn“, in dem er den Mord an den Juden im polnischen Jedwabne 1941 schildert und dafür die ortsansässige polnische Bevölkerung verantwortlich macht. Dieser Vorwurf von einem, der in Polen für andere Veröffentlichungen hoch dekoriert wurde, wirkte dort wie eine Bombe, zumal Gross 2006 mit einem Buch über den Pogrom im südpolnischen Kielce 1946 nachlegte.

Die so ausgelösten Debatten offenbarten vor allem die Unkenntnis, die in Polen über die eigene frühere Judenfeindlichkeit herrscht. Aus der geradezu klassischen Region der Judenpogrome, des landesweiten Boykotts jüdischer Läden im Jahr 1912 und der in den dreißiger Jahren entworfenen Zwangsauswanderungspläne der Regierung für das polnische Judentum Richtung Madagaskar, ist ein Land geworden, das frühere tödliche Ausschreitungen seiner Bürger gegen Juden offenbar für unmöglich hält. Dem stehen Befunde israelischer Historiker entgegen, die etwa für 1936 von gut tausend gewaltsam ums Leben gekommenen Juden ausgehen, die aber anders als in den von Gross geschilderten Fällen kaum Öffentlichkeit gefunden haben.

Mit seinen Veröffentlichungen verfolgt Gross durchaus persönliche Ziele. Er ist selbst jüdischer Herkunft und verließ Polen 1969 wegen der dort auch nach 1945 noch andauernden Judenfeindlichkeit. Daß solche Motive den Blick nicht immer schärfen, kennt man von Vater und Sohn Goldhagen, die beide aus persönlicher Betroffenheit nicht nur Engagement entwickelten, sondern auch besseres Wissen ableiteten, das sich bei genauerem Hinsehen aber als falsch herausstellte. So ruft auch Jan Gross manch scharfen Kritiker in der Sache auf den Plan, findet zugleich aber auch ein gewisses positives Echo bei Polen, die sich der Vergangenheit selbst dann stellen wollen, wenn Gross in manchen Punkten unrecht haben sollte. Und schon sind gegen eine Fotografie im neuen Buch erste Fälschungsvorwürfe laut geworden.

Die nationalsozialistische Ausrottungspolitik gegen das Judentum wirft einen gewaltigen schwarzen Schatten. In diesem Schatten versteckt sich aber so manches, das selbst beachtlichen Schatten wirft, wann immer es ans Licht kommt.

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